Eine Reise in die Fremde als Begegnung mit der Fremde im eigenen Selbst. (DR) Am Beginn von Thomas Stangls "Fremden Verwandtschaften" steht eine Abreise: Sein Protagonist, ein Wiener Architekt, bricht zu einer Konferenz in Westafrika auf, während seine Frau und Kinder in Österreich zurückbleiben. Doch der Mittvierziger tritt mit dem Verlassen seiner Heimat nicht nur eine physische Reise an, so erkennt man rasch, sondern zugleich eine psychische. Denn ebenso wie Stangls Hauptfigur fortan auf Irrwegen durch die ihm unbekannte westafrikanische Stadt streift, so wandert er in schlaflosen Nächten auch auf verschlungenen Pfaden durch seinen Geist. Diese realen wie mentalen Reisen führen in Folge zu einer Vielzahl an konkreten und erinnerten Begegnungen und lassen ihn immer tiefer in die Schichten seines Selbst eintauchen. Dabei erlebt er, wie persönliche Überzeugungen zusehends ins Wanken geraten, Gewissheiten fragwürdig werden und einstmals klare Rollenbilder - Vater, Sohn und Ehemann, Europäer und Architekt - ihr Identifikationspotential verlieren. Neue Wege im Denken und Handeln scheinen plötzlich möglich, ein ganz anderes Leben jenseits der alten Muster, die nun bar ihrer Legitimation sind. Doch hat dieses Fremde und Neue tatsächlich Chancen, sich dauerhaft im Leben des Protagonisten zu verankern, oder bleibt es bloß Wunschtraum und Utopie? Die Antwort darauf müssen die LeserInnen in diesem anspruchsvollen Roman letztlich selbst herausfinden, doch wer Stangls Protagonist auf seiner nachdenklichen Reise folgt, wird in jedem Fall mit einem tiefschürfenden und befriedigenden Leseerlebnis belohnt.

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Personen: Stangl, Thomas

Standort: U Bücher