Richter, Jutta
Hinter dem Bahnhof liegt das Meer
Buch

Annotation: Ein Märchen über einen kleinen Jungen, der vor familiärer Gewalt ins Obdachlosenmilieu flieht und von seinem Schutzengel und durch ein königliches Wunder am Ende gerettet wird. Rezension: Von Frank Capra sagt man, dass er mit seinen Filmen die Menschen das Heulen lehrte und am Ende immer ein Wunder parat hatte, damit die weinenden Zuschauer aufatmen konnten. Jutta Richter muss Capras "Die unteren Zehntausend" gesehen haben und Apfel-Annie, dargestellt von der wunderbaren Bette Davis, ist vielleicht Patin gestanden für die rote Ilse, eine von den "Pennern, Kampftrinkern, Brückenschläfern", die in ihrem jüngsten Kinderbuch eine nicht unwesentliche Rolle spielen. "Es gibt auch gute Tage" - mit diesem Satz beginnt sie ihre kurze Erzählung über einen neunjährigen Jungen, genannt Neuner, der vor dem gewalttätigen "Neuen" ausgerissen ist, nachdem der seine Mutter krankenhausreif geprügelt hat. Und der jetzt gemeinsam mit Kosmos, seinem Kumpel auf der Straße, vom Meer träumt, wo es warm ist, wo Sommer ist, wo die Zitronen wachsen. Dort wollen sie hin, das ist ihr Panama. Aber sie sind arm. An diesem Punkt kommt die Königin ins Spiel, die ihr Geld früher auch auf der Straße verdient hat und jetzt Kneipenbesitzerin ist. Sie kauft den beiden Träumern Neuners Schutzengel ab. Der ist "fast neu, selten gebraucht, kein bisschen abgenutzt", wie Kosmos gewandt im Verkaufsgespräch behauptet. (Aber das habe ich ihm nicht geglaubt, ein Junge, der Gewalttätigkeit bei Männern riechen kann, der hat seinen Schutzengel permanent nötig). Ohne seinen Schutzengel kann so einer wie Neuner nicht leben, da mag er noch so gut balancieren können, ohne Schutzengel stürzt so einer ab. Gut, dass Richter am Ende ein Wunder parat hat. Und wenn sie nicht gestorben sind, . am Meer. Jutta Richter, für ihr letztes Buch "Der Tag an dem ich lernte die Spinnen zu zähmen" sehr zurecht mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet, hat ein Märchen über die Sehnsucht der Ärmsten nach Geborgenheit und Liebe und die Erfüllung ihrer Träume geschrieben. Ein gefährliches Unterfangen, oft an der Kante zur Sozialromantik oder zum Kitsch. Dass es gelingt, ist beinahe auch ein Wunder, liegt an Richters bedeutender Sprachmächtigkeit. Sie arbeitet mit Auslassungen, Wiederholungen, die zu Beschwörungsformeln werden, mit einer poetisch reduzierten Sprache - so gelingt es ihr, mit wenigen Sätzen Figuren zu beleben und dichte atmosphärische Räume zu schaffen, die einiges aushalten an Pathos, an Romantik, ja, auch an Hoffnung und den Glauben an das Gute in den Menschen, das sich im Zweifelsfall - und an guten Tagen - ereignet. Lesetipp *ag* Franz Lettner


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Personen: Richter, Jutta

Schlagwörter: Freundschaft

Richter, Jutta:
Hinter dem Bahnhof liegt das Meer / Jutta Richter. - München : Hanser, 2001. - 92 S.
ISBN 978-3-446-20042-5 fest geb. : Eur 10,20

Zugangsnummer: 2012/0152 - Barcode: 2-3111090-5-00136196-4
Erzählungen 9-12 Jahre - Signatur: Ju 2 Richt - Buch