Wo das Reden aufhört beginnt die Literatur. Deshalb ist der Friedhof die ideale Streusiedlung für Dichtung. Was ursprünglich als soziales Projekt begonnen hat, ist in den letzten fünfzehn Jahren eine eigene Kulturform geworden. In der Anonymität großer Städte sterben immer wieder Menschen ohne Angehörige und Bekannte. Oft bleiben sie in einer Wohnung über und werden erst nach einiger Zeit tot entdeckt, oft haben sie sich auch wie Elefanten zum Sterben an den Rand der Gesellschaft zurückgezogen, oft erwischt sie auch der Tod aus heiterem Himmel und der Spontantod sprengt alle Zeremonien, Maarten Inghels und F. Starik geben diesen Menschen eine würdige Verabschiedung, indem sie sich um den Lebenslauf kümmern und diesen zu einer erzählbaren Geschichte umformen. Es ist immer ein sogenannter "Dichter vom Dienst" an Bord des Projekts, der ähnlich einer Zeitungsredaktion das Einsame Begräbnis begleitet und einen poetischen Text verfasst. Das Begräbnis selbst wird dokumentiert, wobei durchaus Platz für die Innensicht des Chronisten bleibt. Am Ende ist das Einsame Begräbnis oft zeitloser und unsterblicher als so manches Staatsbegräbnis, wo der Verstorbene nichtssagend ins Vergessen hinübergleitet. Für den Memorial-Band sind nun 32 Begräbnisse ausgewählt und dokumentiert worden. Dabei sind die Verstorbenen durch Anonymisierung zusätzlich gewürdigt, niemand soll falsche Schlüsse aus einem Leben ziehen, von dem er vielleicht gar keine Ahnung hat. Die Gedichte sind manchmal als Anlassgedichte gestaltet, wobei der Beruf des Verstorbenen durchaus Anlass für Assoziationen sein kann, aber auch der ferne Kulturkreis eines Migranten wird aufgerufen oder ein besonderer Gestus, der das Leben vielleicht einst ausgemacht hat. "Dies hätte ein Lied werden können // Eine Grube gibt an. Einen Sarg. Einen Namen. / Es gibt keinen Zweifel: ein Dasein. […] Dies hätte ein Lied werden können. / Das hier ist der Wind. Ein paar Worte unter / einer dürftigen Sonne und kein Weg zurück." (25) Auf das Irreguläre inmitten von regulären Abläufen weist das Gedicht über B. M. hin. "Adieu B. M. // Du wohntest einen Steinwurf von der Bibliothek Permke entfernt. / Aber in keinem Buch kann man deine Geschichte lesen. / Kein Nachbar weiß noch deinen Namen. Nur eine Zeile im Bevölkerungsregister bestätigt deine Existenz." (139) Das Einsame Begräbnis ist vielleicht jene Überfahrt aus der Mythologie, wo die gebrechlichen Glieder des einen Ufers in Poesie überführt werden für einen Ort, der kein Ufer mehr hat. Helmuth Schönauer
Personen: Inghels Maarten Starik Frank
Inghels:
¬Das¬ einsame Begräbnis : Geschichten und Gedichte zu vergessenen Leben / Ingels Maarten, F. Starik ; ausgewählt und aus dem Niederländischen übersetzt von Stefan Wieczorek in Zusammenarbeit mit Carina Becker ; mit Gedichten von Jan Aelberts [und 19 weiteren] - Deutsche Erstausgabe. - Wien : Edition Korrespondenzen, 2017. - 216 Seiten ; 20 cm
Einheitssacht.: ¬De¬ eenzame uitvaart
ISBN 978-3-902951-19-9
Sonstige Einzelfragen (z.B. Einsamkeit, Krankheit, Trauer, Sterben) - Signatur: Fa 1.27 Inghe - Buch