Rezension
Ein Gasthaus an einem bayerischen See, 3 Generationen einer Wirtsfamilie: Die Szenerie könnte einem Heimatfilm entsprungen sein. Doch was der Schauspieler Josef Bierbichler (vgl. ID-G 15/04) in seinem 1. Roman erzählt, ist weit entfernt von alpiner Sentimentalität. Die Geschichte der Seewirtsfamilie setzt ein mit dem 1. Weltkrieg und endet ca. Ende der 1980er-Jahre. Zeitgeschichtliche Ereignisse prägen und begleiten die Familie, auch wenn einige erst mit Verspätung aus der nahen "Landeshauptstadt" herüberschwappen. "Die Augen verschließen" und "unter den Teppich kehren" sind gängige Verhaltensmuster der bigotten Dorfgemeinschaft im Umgang mit schwierigen Wahrheiten, sei es das Schicksal der Juden in den KZs oder der sexuelle Missbrauch des Wirtssohnes in der katholischen Klosterschule. Ein grandios komponierter und in sich stimmiger Roman, fein ausgestaltete Figuren, in verblüffend virtuoser Sprache. Bildhaft, pointiert, mitunter scharf und teilweise ironisch: Bierbichlers Formulierkunst sollte man mit wachen Sinnen auskosten. Ein Highlight im Literaturherbst 2011 (Hörbuch in dieser Nr.). Für alle.
Personen: Bierbichler, Josef
BIER
Bierbichler, Josef:
Mittelreich : Roman / Josef Bierbichler. - 1. Aufl. - Berlin : Suhrkamp, 2011. - 391 S. ; 22 cm
ISBN 978-3-518-42268-7 fest geb. : EUR 22.90
BIER - sch. Lit.Erw