Temporeiches, schwarzhumoriges Generationenporträt voll skurriler Figuren, bizarrer Einfälle und bittersüßer Momente. (DR) Bedarf es wirklich nur einer Begegnung, um unser Leben für immer zu verändern? Erstaunlich routiniert, mit viel Verve und Charme erzählt die frühere Filmcasterin Astrid Rosenfeld, Jahrgang 1977, in ihrem vielbeachteten literarischen Debüt die pralle Doppelgeschichte zweier Generationen zu verschiedenen Zeiten. Zunächst begegnen wir im Berlin dieser Tage Edward Cohen, Nachfahre von Holocaust-Überlebenden. Der mittels grotesker Strickpüppchen zu Geld gekommene Modeboutiquebesitzer bringt uns mit Witz und Phantasie seine turbulente Kindheit und Jugend in den 1970er Jahren inmitten einer äußerst bemerkenswerten Familie nahe. Die frappante Ähnlichkeit mit seinem nie gekannten Großonkel Adam, dessen spurloses Verschwinden mitsamt des Familienvermögens keineswegs für Ruhm in der Familie sorgte, lastet von klein auf schwer auf seinen Schultern. Erst nach dem Tod seiner gestrengen Großmutter Lara findet Edward alte Aufzeichnungen Adams aus dem Jahre 1938, die Licht in die Sache bringen. Hier setzt der zweite Teil des Romans ein, in dem Großonkel Adam in die Rolle des Erzählers schlüpft und mit viel Galgenhumor, hart an der Grenze des guten Geschmacks, sein Leben und Lieben als jüdischer Junge im Berlin des Jahres 1938 beschreibt. Immer tiefer in das Grauen der NS-Zeit führt seine Geschichte, für seine erste Liebe ist er bereit, alles aufs Spiel zu setzen. Eine große Stärke des Romans liegt in der Vielfalt der plastischen Charaktere und in dem farbigen Panoptikum an kleinen Episoden, die selbst märchenhaft-bizarre Ereignisse sehr real wirken lassen. Die Autorin hat die Schauplätze des Romans außerhalb von Berlin nicht selbst aufgesucht, jedoch akribisch über den Holocaust recherchiert: eine wichtige literarische Quelle war für sie u.a. Joachim Fests Hitler-Biographie. Sie scheut weder vor großen Themen noch vor einer gehörigen Portion Pathos zurück. Wenngleich das Ende nur hoffnungslosen Romantikern glaubhaft erscheinen mag, stellt Astrid Rosenfeld mit diesem ergreifenden, tragikomischen Erstlingsroman ihr großes Erzähltalent deutlich unter Beweis und sorgt mit dieser niveauvollen Lektüre nicht nur bei LeserInnen, die bedingungslos an den Triumph der Liebe über den Tod glauben, für abwechslungsreiche Lesestunden. *bn* Elisabeth Zehetmayer
Personen: Rosenfeld, Astrid
Rosenfeld, Astrid:
Adams Erbe : Roman / Astrid Rosenfeld. - Zürich : Diogenes-Verl., 2011. - 384 S.
ISBN 978-3-257-06772-9 fest geb. : ca. Eur 22,60
Gesellschaft-, Liebes- und Eheromane, Frauen und Familienromane - Signatur: DR.G Rose - Buch: Dichtung