Das Warten beherrschen Kinder vehementer und herzklopfender als Erwachsene. Und als das Mädchen Tine Pelerine auf dem Bahnhofsvorplatz im Regen steht, von oben bis unten voller Sehnsucht, da fleht sie: „Bitte, liebe Bahnhofsuhr, verkürze mir die Wartezeit. Verkürze mir die Zeit, bis dort die große Bahnhofstür aufschwingen wird, und eine schöne Frau, meine Mama, mit zwei Koffern in der Hand heraustritt.“ Klar, dass ein dermaßen schöner, schwingender Wunsch erhört wird, und zwar vom Regenkönig Tausendwasser persönlich. Ein paar Tage nur, erklärt die verregnete Majestät, müsse das Mädchen im tanzenden Haus bleiben, einer alten Bude am Bahndamm, einem – Nullsternehotel. Dann werde sie schon sehen. Aber Tine Pelerine sieht schon vorher. Im tanzenden Haus begegnen ihr die prächtig höckrige Kamelstute, die als Empfangsdame arbeitet, der große Bär Brim-Brim mit dem Kinderstimmchen, die Ginsterkatze Klarinette oder die Schlimme Hedwig, eine Pudeldame. Es versteht sich von selbst, dass das Zusammenleben mit dermaßen unterschiedlichen Mitbewohnern nicht nur harmonisch ist, es gibt sogar die „Tage der üblen Laune“ und auch noch einen etwas anstrengenden Mops namens Dreibein. Aber am Ende, ja, am Ende … Albert Wendts kindliche Protagonistin ist Lewis Carrolls Alice nicht unähnlich: Wie ihr viktorianisches Pendant betritt Tine Pelerine ein Wunderland, das von skurrilen Figuren bevölkert ist und großzügig mit Nonsens ausgekleidet. Während Carrolls Witz aber schrill und sprachanalytisch daherkommt, gestaltet Wendt den Nonsens seiner tanzenden Häuschenwelt auf weiche, zarte Weise, mit einer Komik, die über die semantischen Sprachspiele hinaus auch mit einer fein humoristischen Situationspoesie aufwartet, wie etwa die nachfolgenden Sätze zeigen: „Das Haus war zu Ende. Auf der Dachkante saß ein Schornsteinfeger und frühstückte.“ Nach der Lektüre dieses außergewöhnlichen, grandiosen Kinderbuches dürfte jedem klar sein, was für ein verrücktes, wackeliges Land das Warten ist – und dass es sich dennoch und gerade deshalb lohnt, ab und zu dort zu sein.

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Personen: Wendt, Albert

Schlagwörter: Mutter Mama Kind Mädchen Sehnsucht Autor <Deutschland>

Interessenkreis: Kinder