Ein Kind seiner Zeit - kurzweilige Biografie über den expressionistischen Maler Egon Schiele im gesellschaftlichen Kontext. (KB) Von den Zeitgenossen als "Pornograph" verschrien, werden die Werke des expressionistischen Malers Egon Schiele heute als Vertreter der Wiener Moderne neben Gustav Klimt in Museen weltweit bewundert. Ein großes Plus dieser neuen Biografie über Egon Schiele ist die Einbindung in den sozialen und kulturellen Kontext seiner Zeit. Das pulsierende Wien der Jahrhundertwende mit seinen illustren Künstlersalons, dem wachsenden Interesse an der Psychoanalyse und den theosophischen und esoterischen Strömungen wird dabei ebenso in den Blick genommen wie die Schattenseiten der schnell wachsenden Metropole eines Vielvölkerstaates, seine trostlosen Vorstadtbehausungen, wo minderjährige Mädchen in die Prostitution gezwungen werden. Das Leben in den Provinzstädten Krumau, Neulengbach oder Schieles Geburtsstadt Tulln geben weitere geographische Standpunkte der Einflussnahme auf das künstlerische Werk vor. Wie kam es zum Vorwurf der angeblichen Entführung und Schändung eines Mädchens und was ist mit den Gerichtsakten rund um den Fall geschehen, der Egon Schiele für fast einen Monat hinter Gitter brachte? Waren die Vorwürfe rund um seine blutjungen Modelle gerechtfertigt oder nur der Racheakt eines wütenden Vaters wegen seiner pubertierenden, ausgebüxten Tochter? Schiele lebte recht glücklich mit seiner ebenfalls sehr jungen Geliebten Wally in wilder Ehe zusammen. Der noch unbekannte Maler wurde jedenfalls freigesprochen. Was die Doppelmoral dieser Zeit zeigt, in der einerseits der Typus der Kindfrau angebetet wurde etwa von Karl Kraus oder Peter Altenberg, andererseits der damals schon einflussreiche Architekt Adolf Loos, dessen heute nachweislich pädophile Taten ihn vor Gericht brachten, dieses aufgrund bester Vernetzungen als freier Mann verlassen konnte. Die Frauen in Schieles Werk sind keineswegs verträumt schauende Schönheiten, sondern blicken dem Betrachter selbstbewusst entgegen, ihre Körper tragen die Spuren ihrer Verletzlichkeit, ihrer psychischen Befindlichkeit. Überhaupt gelingt in dieser Biografie mit der Beschreibung des Lebensgefühls des Fin de Siècle und seinen Umbrüchen der Brückenschlag zur heutigen Zeit. Der Autor und Journalist Gregor Mayer bringt in Gesprächen mit Kunsthistorikern und Schiele-Kennern neue Gesichtspunkte und Inspirationen für wichtige Werke ins Spiel und zeichnet Schieles Lebensweg nach, der mit nur 28 Jahren an der Spanischen Grippe starb und ein riesiges Werk hinterließ. Insgesamt handelt es sich um eine kurzweilig geschriebene, auch für Laien gut verständliche, informative Künstlerbiografie, die Schiele-Neulingen und allen Bibliotheken ans Herz zu legen ist.
Personen: Mayer, Gregor
Mayer, Gregor:
Ich ewiges Kind : das Leben des Egon Schiele / Gregor Mayer. - Salzburg ; Wien : Residenz-Verl., 2018. - 203 S., [8] Bl. : Ill. (farb.)
ISBN 978-3-7017-3403-0 fest geb. : ca. € 22,00
Biographien zu Kunst, Theater, Film - Signatur: BI.K Maye - Buch: Sachbuch