Philosophische Erzählung über Leben und Sterben. (DR) Die Mutter Selinas in Walter Kappachers Roman "Selina" war vom Schriftsteller Jean Paul beeindruckt, obwohl ihr Bruder daran zweifelt, dass sie den doch sehr komplexen und sprachlich gewöhnungsbedürftigen Text, nach dem sie ihre Tochter benannt hat, je gelesen hat. Ich bin an der Lektüre ebenfalls gescheitert und so bleibt ein Vergleich mit Kappachers Roman in dieser Rezension aus. Wie stark die Bezüge sein mögen, wo der zu stillen und nachdenklichen Texten neigende Salzburger Autor mit seiner Vorlage spielt, überlasse ich der Analyse von Literaturwissenschaftern. Kappacher stellt einen Lehrer aus Salzburg in den Mittelpunkt der Handlung, die im Jahr 1985 ihren Ursprung nimmt. Er gönnt sich ein Freijahr, um in Italien an einem Buch zu schreiben. Auf dem vom Verfall bedrohten Landhaus Mora des Deutschen Heinrich Seiffert, den er im Vorjahr am Bahnhof während einer Zugverspätung kennen lernt, entwickelt sich träge die Handlung, die vom Ende her aufgerollt wird. Stefan eignet sich das Haus, die Umgebung und die dort lebenden Menschen langsam an. Seine Beobachtungen stehen im Vordergrund, sie kreisen oft um Banales, Alltägliches. Oft werden sie im Gehen gemacht, Geräusche dringen durch, Gefühle kommen auf. Mit Heinrich Seiffert, einem belesenen Mann mit geheimnisvoller Bibliothek, gibt es spärliche Begegnungen, in denen die beiden die Themen Tod und Unsterblichkeit ansprechen. Der alte Mann, der ganz unspektakulär und von Stefan unbemerkt stirbt, wartet auf die Ankunft seiner Nichte Selina, die er dem Lehrer sehr anpreist. Wie eine Verheißung steht diese Frau im Raum, an die er dann aber, als er ihr begegnet, nicht wirklich heranzukommen vermag. Und doch übt sie einen Zauber aus, geschieht das Unglaubliche - eine einmalige Begegnung der Leidenschaft. - Wer sanfte Töne liebt und sich bis an die Grenzen der Monotonie führen lässt, wer sich gerne langsam und träge mit einer literarischen Figur verbindet und mit ihr ein Stück des Weges geht, der mache sich auf nach Mora, um im Jetzt zu leben und der Frage nach der Unsterblichkeit nachzuhängen. Ein stilles Buch, das mir gefallen hat. *bn* Martina Lainer
Personen: Kappacher, Walter
Kappacher, Walter:
Selina : oder das andere Leben ; Roman / Walter Kappacher. - Wien : [Deuticke im Paul Zsolnay Verlag], 2005. - 254 S.
ISBN 3-552-06018-9 fest geb. : ca. Eur 20,50
Gesellschaft-, Liebes- und Eheromane, Frauen und Familienromane - Signatur: DR.G Kapp - Buch: Dichtung