Pevny, Wilhelm
Mord Roman
Schöne Literatur

Vom Überleben in der Ära der Verrohung Wilhelm Pevnys Roman "Mord" Die auf 12 Bände angelegte Gesamtausgabe der Werke Wilhelm Pevnys im Wieser Verlag startete 2016 mit zwei Romanen: Trance, geschrieben 1983 und 1999 in der Edition Echoraum erschienen, und Mord, der hier erstmals publiziert wird. Prinzipiell ist dieses Editionsprojekt ein großes Verdienst, vor allem der fördernden Stellen - Stadt Wien, Land Kärnten und Niederösterreich -, während dem Verlag die Erstpublikation von Mord im Buch nicht einmal eine editorische Zutat wert war, geschweige denn eine adäquate Werbeoffensive, die der Roman und das Faktum, dass er ein Vierteljahrhundert auf sein Erscheinen gewartet hat, wohl verdient hätten. Der Ton des Romans erinnert bereits an Pevnys Opus Magnum Die Erschaffung der Gefühle (2013), und wie dort geht es um gesellschaftspolitische Fragestellungen, die hier in etwa lauten könnten: Wie muss eine Gesellschaft beschaffen sein, dass ihre Mitglieder für sich, für das engere Umfeld und für die Allgemeinheit ihr Leben sinnvoll und erfüllt gestalten können? Was passiert mit einer Gesellschaft, die das systemisch verhindert? Individuelle Lebensentwürfe sind bei Pevny immer Teil der gesellschaftlichen Gesamtbefindlichkeit, geprägt und überformt von den übergeordneten Lebensperspektiven und Entwicklungsmöglichkeiten, die die Gesellschaft ihren Mitgliedern bereitstellt. Wer in etwa den Lebensbogen mit dem Autor teilt, fühlt sich zu Beginn an die Affären rund um die Betriebsratskaiser der verstaatlichten Industrie erinnert, die dem Ansehen der Gewerkschaft vielleicht nachhaltiger geschadet haben als der Spekulationsskandal von 2006. Der Erzähler ist "Protokollant" in einem Staatskonzern und er ist ein denkender Mensch voller guter Absichten. Da die Berichte aller Abteilungen bei ihm zusammenlaufen, fallen ihm Doppelgleisigkeiten und Widersprüche in den Abläufen auf und er versucht Verbesserungsvorschläge einzubringen. Damit zur Direktionsetage vorzudringen gelingt ihm nicht, er scheitert schon an der hierarchischen Struktur des Betriebsrates, in seiner selbstgefälligen Borniertheit das strukturelle Ebenbild des Unternehmens. Mit feinem Strich zeigt Pevny in Verhalten, Selbstpräsentation und Gestik der Arbeitnehmervertreter die schlecht verborgenen Ängste, ihr Herrschaftswissen und ihre Position in der Nähe zur Macht zu verlieren. Dieser erste Teil des Romans ist ein kafkaeskes Porträt lähmender Verwaltungsstrukturen, die auf Machterhalt orientieren, also eigenständig denkende Mitarbeiter nicht brauchen können. Nach der Logik des Systems gilt es, sie zu isolieren, zu eliminieren - oder umzudrehen. So wird es mit dem Erzähler geschehen, und das ist zunächst keineswegs zu vermuten. Er ist ein eher zurückhaltender Mensch, engagiert im Pazifistischen Verein - wohl die Friedensbewegung der 1980er Jahre - und lässt in Gesprächen mit Kollegen aus Rücksichtnahme manches ungesagt, etwa seine Skepsis gegen allzu simple Erklärungsmuster wie dem Freund-Feind-Schema des Kalten Krieges. Er denkt über vieles nach und bespricht es mit seiner Frau, auf deren Meinung er großen Wert legt. Selbst den "Gutmenschen"-Vorwurf reflektiert er schon ante litteram und fragt sich, ob sein Engagement für die Verbesserung "der betrieblichen Situation oder der Welt insgesamt" nicht eine Art von Selbstbetrug und Selbstberuhigung sein könnte. Das Setting kippt radikal, als eine Verleumdungskampagne von Kollegen ihn und seine Verbesserungsvorschläge zum Schuldigen für eine Kündigungswelle macht, während die Firmenleitung ihn zeitgleich zum Direktor des Werkschutzes bestellt - als wäre das Ziel all seiner Bemühungen tatsächlich immer schon nur sein individueller Aufstieg und ein radikaler Seitenwechsel gewesen. Zunächst ist er verzweifelt, fühlt sich missverstanden und will sein neues Betätigungsfeld nicht akzeptieren. Doch er weiß nicht, an wen er sich wenden und wie er sich dagegen wehren könnte. So schlittert er in die neue Position hinein, auch wenn er sich in der Umgebung der männerbündlerischen Wachmannschaft völlig fehl am Platz fühlt, die ihn ihrerseits nur ungern als Vorgesetzten akzeptiert. Das ändert sich, als sein jüngster Sohn bei einer Entführung zum Krüppel geschlagen wird und er von seinen neuen Kollegen gelebte Solidarität erfährt - die freilich auch und vor allem gewalttätige Racheakte inkludiert. Hier setzt die titelgebende Reflexion an: Was alles ist ein Mord? Ist es nicht genauso Mord, wenn die aktive Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen verweigert oder der Existenz durch Verleumdung die Basis entzogen wird? Allmählich gewöhnt er sich an die stete Gewaltbereitschaft seiner Truppe, beginnt aktiv die Grenze zur physischen Gewalt zu überschreiten und sich an kollektiven Gewaltakten zu beteiligen. Sein Verhalten brutalisiert sich auch gegenüber seiner Frau und er fühlt sich scheinbar wohl in seinem neuen Rollenmuster, das zumindest an der Oberfläche keinen Platz mehr hat für viele Ängste und Bedenklichkeiten von einst. Doch im Innersten weiß er durchaus, dass die neue harte Tour eine Verlustanzeige ist, ein Abwehren der Trauer über Verlorenes, ein immer neuerliches Zuschlagen aus Scham und schlechtem Gewissen. Vieles davon wird ihm erst so richtig klar, als ein neuer "Weltverbesserer" auftritt, der das gleiche versucht wie einst er selbst, der sich jetzt freilich auf der radikal anderen Seite befindet und den jungen Idealisten daher besonders hasst. Doch "Mörder" jeder Couleur, so ist er überzeugt, erkennen einander, und ein Zurück ins andere Lager steht ihm daher nicht mehr offen. Was an diesem Roman verblüfft, ist die Feinheit in der Analyse psychologischer Vorbedingungen und Implikationen sozialer Verrohung und der genaue Blick auf gesellschaftliche Problemfelder und ihre Gefahrenpotentiale. Da gibt es Hackerangriffe auf die EDV-Anlage der Firma, Übergriffe auf Asylantenheime, eine Key-Card, die in der Gated Community die Haustür öffnet, oder die ID-Karte, mit der sich der Aufenthaltsort einer Person aufspüren lässt. Das sind wie nebenbei eingestreute Details, die damals noch nicht unbedingt zu den Alltagserfahrungen zählten. Man darf jedenfalls gespannt sein, auf die beiden weiteren unpublizierten Romane - genauso wie auf den Band mit Theaterstücken -, die in dieser Edition noch erscheinen werden. Und es ist sehr zu hoffen, dass sich der Verlag dann engagierter um die Platzierung dieser Bücher und eine Würdigung ihres Autors kümmert.


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Personen: Pevny, Wilhelm

Schlagwörter: Konzern Entscheidung

Interessenkreis: Roman

DR
Pev

Pevny, Wilhelm:
Mord : Roman / Wilhelm Pevny. - Klagenfurt : Wieser, 2016. - 146 Seiten
ISBN 978-3-9902919-1-7 Fest gebunden : ca. € 21,00

Zugangsnummer: 0027018001 - Barcode: 01041187
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