Gleich aufs Ganze gehen Emil Bobi und sein Romandebut Abara Da Kabar Welt durch Sprache! So dröhnte es, als noch Nachkriegsgermanisten wie Emil Staiger das Sagen hatten und neue Grundbegriffe der Poetik festzuschreiben versuchten. Die Sprache, so deren Überzeugung, macht uns die Welt begreiflich, sie ermuntert uns sogar, sie zu interpretieren und hilft uns, unseren Platz zu finden. Der Ich-Erzähler in Emil Bobis Roman Abara Da Kabar sieht das komplett anders. Er ist Sprachskeptiker und trägt den schönen Namen Franz Ignaz Baumhackl. So kann man nur in Österreich heißen, und das Österreichische hat bekanntlich eine recht eigenständige und eigensinnige Geschichte der Thematisierung der Sprache. Nestroy, Hugo von Hofmannsthal, Karl Kraus, Ludwig Wittgenstein, Ernst Jandl und und und sind ihr ganz nahe gekommen, auf spielerische, poetische, verbissene, positivistische oder experimentelle Weise. Baumhackl steht also, ob er will oder nicht, in einer ehrfurchtsheischenden Tradition, wenn er ausbricht aus der beruflichen Routine eines angesehenen Journalisten und sich mit Haut und Haaren auf eine radikale Kritik der Sprache als Ausdrucksmittel einlässt. Was heißt einlässt, er lebt diese von ihm wahrgenommene Nichtsnutzigkeit der Sprache voll und ganz, schmerzvoll, bis hinein in eine absoluten Existenzkrise. Baumhackls Schöpfer Bobi war 30 Jahre Journalist, exponierter Chefreporter beim Nachrichtenmagazin Profil, also bei einem Medium, das zwar ab seiner Gründung vor 50 Jahren stets auf gepflegte Sprache mit stilistischem Anspruch und Biss Wert gelegt hat, in dem aber, wie in der gesamten Printbranche, der Druck auf die Journalisten größer und größer geworden ist. Wichtiger als das Schreiben war irgendwann stets das Herbeischaffen von Geschichten, das Aufdecken und Ausrecherchieren von bedenklichen, niederschmetternden Zuständen in Politik, Wirtschaft und Kirche. Dazu kamen die wachsenden Gewinnerwartungen der Konzerne und Anteilseigner. Journalisten als Kostenfaktor und notwendiges Übel, redaktionelle Leistungen als Einfriedung von Inseratenfriedhöfen, das hat ihn irgendwann nicht mehr interessiert. Im vergangenen ersten Corona-Jahr, in dem uns ja von allerlei Experten empfohlen wurde, in der Selbstisolation endlich zu uns selber zu finden, hat sich Bobi in die Südsteiermark zurückgezogen und die Zeit genützt, um auf die fiktionale Seite des Schreibens zu wechseln. Franz Ignaz Baumhackl hat folglich eine starke autobiografische Grundierung, entwickelt sich aber zu einer interessanten literarischen Figur, die es locker schafft, den Leser mitzunehmen auf seine Rückreise zu den Anfängen der Sprache. Auf seiner Suche nach den richtigen Wörtern kommt er bald zur irritierenden Überzeugung, dass die Sprache nicht funktioniert, weder als Informationstransportsystem noch als Werkzeug der Selbsterkenntnis. Er macht sich daran, dieses Thema für eine redaktionell brauchbare Story zu recherchieren. Die Dinge nehmen ihren Lauf. Er spürt, dass er in seiner gedanklichen Fixiertheit zum Ursprung zurückmuss, und lässt sich auf die Begegnung mit Linguisten und deren Beschäftigung mit Urlauten ein. Viel konkreter als ein angestrebter Kontakt zum berühmten Noam Chomsky wird dabei für ihn eine geheimnisvolle, attraktive Spezialistin für afrikanische Sprachen. Er ist ihr aufmerksamer Zuhörer, wenn sie ihn fachwissenschaftlich geschult auf die Ursituation hinweist, als unsere Vorfahren die Wahrnehmung eines Tieres mit bescheidenster Artikulationstechnik zu verworten anfingen. Doch seine Aufmerksamkeit bewegt sich bei diesen Begegnungen bald von der Sprachmaterie weg- und hin zum Wunsch, den Kontakt zu dieser Frau von souveräner Anmut nicht zu verlieren. Erzählt ist das als eine behutsame Geschichte, die in der Schwebe bleibt, als eine Geschichte, die eine richtige Liebesgeschichte werden könnte. Beim Besuch des Nilpferdes im Zoo wird ihm klar, dass wir ohne die Sprache nie das Bewusstwerden des Ichs erlangt hätten, was aber in empörender Konsequenz bedeutet, dass wir uns selber abhandenkommen, wenn die Sprache schwächelt. Und um diese These dreht sich einfach alles im Buch. Abara Da Kabar wird für ihn viel mehr als die Verballhornung des bekannten Zauberspruches, diese drei Wörter sind als Lautgebilde ein magischer Kraftquell von Kindheit an, stehen am Beginn einer lebenslangen Suche nach Worten. Baumhackl erlebt, dass er nicht allein ist mit seiner Suche nach der verlorenen Sprache, er begegnet einem steirischen Straßenkehrer, den er als Seher wahrnimmt, als einen Zauberer mit ursprachlichen Kompetenzen. So wird es denn auch ordentlich phantastisch, wenn unser Suchender in ein marokkanisches Bergdorf zurückkehrt, in dem er sich schon als Hippie wohlgefühlt hatte. Dort ersucht er einen französischen Militärarzt um eine Gehirnoperation, um das Kappen der Nervenbahnen zum Sprachzentrum, also um nichts weniger als um den Verlust der Identität, aber als absurde Hoffnung auf die Befreiung aus der eigenen Gestörtheit. Er ist überzeugt, damit etwas zu Ende zu bringen, die Sprache als die Verbrecherin, die ihn traktiert, loszuwerden. Dass die Sprache eine Wahnsinnigmacherin ist und ihn so weit gebracht hat, sieht er als geradezu selbstverständlich an. Der Roman ist durchwebt von einem merkwürdigen inneren Widerspruch. Wir erfahren einerseits so viel über Baumhackl, den Zweifler, der an der kaputten Sprache leidet, mit ihr ringt und dabei aufwändige anthropologische und sprachphilosophische Betrachtungen anstellt, andererseits kommen wir all dem nur näher, weil wir als Leser permanent Nutznießer der Formulierungskraft, Stilsicherheit und erzählerischen Stringenz des Autors sind. Er setzt die Sprache wirkungsvoll ein, um ihre enttäuschende Untauglichkeit darzulegen. Mit diesem Paradoxon lässt sich leben. Also, wer schreibt, um durchzukommen, ist Journalist, wer um sein Leben schreibt, ist Schriftsteller. Bobi hat sich hinausbewegt aus der Redaktionsstube, hat auf den internationalen Kriegsschauplätzen recherchiert und seine Eindrücke und Begegnungen in einer tauglichen Zeitungssprache zu Papier gebracht. Mit erstaunlicher Entschlossenheit vollzieht er nun den Schritt zum Romancier. Dabei ist er gleich einmal aufs Ganze gegangen, fängt an mit einem Werk, das in Anspruch und Form einem Opus magnum gleichkommt. Erst ganz zum Ende hin gerät Baumhackls niederschmetternder Befund ins Wanken, dass die Sprache nichts als ein Ärgernis sei. Möglicherweise hat sie doch wenigstens die Nützlichkeit jenes marokkanischen Fetzenlaberls, das sein kleiner Freund zum Kicken zusammengeknotet hat. Es hat zwar mit einem UEFA-zertifizierten Ball wenig zu tun, aber mit dem Stoffknäuel fliegt sehr wohl die Illusion von Fußball durch die Luft. Könnte es sein, dass auch die Sprache die Illusion von etwas ganz anderem ist, dass wir demnach vielleicht erst beim Anpfiff zur ultimativen Wahrheitsfindung sind und uns beim Gaberln mit diesem Fetzenlaberl noch ordentlich Mühe geben müssen?
Personen: Bobi, Emil
Bobi, Emil:
Abara Da Kabar : die Rückreise : Roman / Emil Bobi. - Salzburg : Verlag Anton Pustet, 2021. - 365 Seiten : Illustrationen
ISBN 978-3-7025-1015-2 Festeinband: EUR 24.00 (AT)
Romane, Erzählungen und Novellen - Signatur: DR BOB - Buch: Dichtung