Obsessives Begehren stürzt einen Möchtegern-Wildling ins Verderben - eine alptraumhafte Groteske. (DR) Hagard bezeichnet in der Diktion der Jäger einen "Beizvogel, der zur Zeit der Gefangennahme das Alterskleid trägt", im Französischen bedeutet hagard "wild, verstört" und im Englischen ist haggard "ein fertig aussehender Mensch, der zu wenig schläft". All dies trifft auf unseren Protagonisten Philip, einen etwas aus der Form geratenen Liegenschaftsentwickler Ende 40, im Laufe des Geschehens zu. Seine Geschichte bringt uns ein auktorialer Erzähler nahe, der bereits zu Beginn gesteht, dass er nichts begreift und die Sache zu groß für ihn sei. Als Zeuge jener 36 Stunden im März will er vollständig und ungeschönt über die Ereignisse berichten, doch beim Versuch, Philips eigentlich simple Geschichte zu Papier zu bringen, muss er immer wieder pausieren. Schauplatz ist eine Schweizer Stadt, vermutlich Zürich. Wie die meisten Einwohner führt auch Philip ein extrem ereignisloses Leben. Bis der Anblick eines Paars pflaumenblauer Ballerinas alles ändert. Völlig fasziniert folgt Philip scheinbar unbemerkt einer unbekannten Schönen. Immer weiter treibt er das nach der guten Sitte verbotene Spiel, vernachlässigt all seine Verpflichtungen und gerät in immer surrealer wirkende, groteske Situationen. Bereits auf Seite 7 ist klar, dass dieses Begehren auf den Tod treffen mussà Der mehrfach ausgezeichnete Schweizer Romancier und Dramatiker Bärfuss schafft in diesem schmalen Roman, der mehr den Charakter einer Novelle trägt, mit wenigen Sätzen eine beklemmende Untergangsstimmung, die gegen Ende ins Absurd-Komische kippt. Protagonist Philip erregt mehr Mitleid als Sympathie. Den Zerfall unserer Gesellschaft, unsere Kommunikationsarmut und Abhängigkeit von Smartphone etc. führt uns der unerbittliche Beobachter Bärfuss schmerzlich vor Augen. Immer wieder werden die LeserInnen auf die fiktive Erzählsituation zurückgeführt, die Schreibpausen des außenstehenden Berichterstatters scheinen auch in der Realität stattgefunden zu haben. Hierin liegt auch die Schwäche des ansonsten gelungenen Romans, diese intendierten Brüche wirken allzu konstruiert und vermindern die Wirkkraft dieses literarisch anspruchsvollen, intelligenten und tragischen Buchs, das viele Fragen aufwirft. Ideal für Literaturgesprächskreise!
Personen: Bärfuss, Lukas
Bärfuss, Lukas:
Hagard : Roman / Lukas Bärfuss. - Göttingen : Wallstein-Verl., 2017. - 173 S.
ISBN 978-3-8353-1840-3 fest geb. : ca. EUR 20,50
Romane, Erzählungen und Novellen - Signatur: DR BAER - Buch: Dichtung