Während auf internationalen Gipfeln über Regeln zur Neuordnung von Weltwirtschaft und Welthandel gerungen wird, stellt der deutsche Philosoph Rüdiger Safranski aus anthropologischer Sicht die grundsätzliche Frage, wie viel Globalisierung der Mensch verträgt. "Sind wir nicht deswegen Mängelwesen, weil wir auf einen zu weiten und zu fernen Horizont, eben auf das Globale, hinausblicken können? Ist unser Reichtum an Erkenntnissen und Perspektiven nicht auch unsere Schwäche?" (S. 8), so die Skepsis des Autos gegenüber den gegenwärtigen Entwicklungen. Nun sieht Safranski durchaus "erfreuliche globale Kooperationsgemeinschaften" wie die "lebenserleichternden und lebensbewahrenden Effekte der Ausbreitung moderner Naturwissenschaft, Medizin und Technik", internationale Organisationen und Netzwerke zur Eindämmung von Krieg, Gewalt und Menschenrechtsverletzungen ("Eine Weltöffentlichkeit ist etabliert, tyrannische Regime müssen sich beobachteter fühlen und geraten unter Legitimationsdruck." S. 18) bis hin zu Bewegungen von Globalisierungskritikern, "die virtuos die weltumspannenden Informations- und Mobilisierungstechnologien nutzen" (ebd.). Safranski problematisiert drei Varianten des "normativen Globalismus": Der Neoliberalismus benütze den Hinweis auf die Globalisierung als "Argument für die soziale Entpflichtung des Kapitals" und spekuliere darauf, "dass die Staaten um Arbeitsplätze konkurrieren und deshalb mit dem Abbau von so genannten Investitionshemmnissen locken". Mit dem Hinweis, man könne von den Kapitalströmen getrennt werden, werde eine Drohkulisse aufgebaut "zum Zwecke der Durchsetzung des Primats der Ökonomie: Staat und Kultur haben der Ökonomie zu dienen." (S. 21). Der Anti-Nationalismus solle zweitens der zerstörerischen Geschichte der Nationalismen ein Ende setzen, wobei die "globalistischen Bekenntnisse" nicht zufällig in Deutschland "besonders inbrünstig" klängen (S. 23). Safranski setzt dem als "anthropologische Grundbedingung" entgegen, dass Mobilität und Weltoffenheit durch "Ortsfestigkeit" ausbalanciert werden müssen: "Je mehr emotional gesättigte Ortsbindung, desto größer die Fähigkeit und Bereitschaft zu Weltoffenheit." (S. 24) Weltläufig sei nicht jemand, der mit Tunnelblick seinen weltweiten Geschäften nachgeht oder touristisch unterwegs ist: "Es gehört die Bereitschaft dazu, sich ins Fremde verwickeln zu lassen. Weltläufig ist nur, wer durch den Reichtum von Welterfahrung verwandelt wurde." (S. 25). Drittens gäbe es einen problematischen Öko-Globalismus. Safranski leugnet die globalen Umweltprobleme nicht, wendet aber ein, dass der Politisierungsdruck, der von diesen ausgehe, eben nicht auf "ein global vereinheitlichtes Handlungssubjekt" treffe, "das man zur Raison rufen oder hinterher zur Verantwortung ziehen" könne. Seine nüchterne, wohl zutreffende Diagnose: "Nur Staaten und Staatenbündnisse haben Macht, die ´Menschheit´ aber hat keine Macht." Sie sei eine Beschwörungsformel in der Arena der wirklichen Mächte, wo die globalen Asymmetrien von Macht, Produktivität und Reichtum ein Souveränitätsgefälle neuen Typs hervorbringen: "Souverän ist, so zeigt sich inzwischen, wer Folgelasten eigenen Handelns auf andere abwälzen kann." (S. 26) Die USA seien insofern, wenn sie internationale Umweltschutzabkommen sabotieren, souveräner als andere. Und wenn die Ressourcen von Energie, Wasser und Luft knapp werden, entscheide "immer noch die Macht über die Verteilung der Lebenschancen." (ebd.) "Den Anspruch auf Schicksals- und Deutungsmacht erhebt jetzt der Ökonomismus, für den das Gelten von Werten zum Geld und die Wahrheit der Welt zur Ware wird." (S. 67) Der Autor problematisiert die zunehmende Handlungsohnmacht in einer globalisierten Welt sowie die Abfuhr des Handlungsstaus in medialen "Erregungsgesellschaften". Die Devise der Steigerung: "Statt Handlungsabfuhr: Erregungszufuhr." (S. 79) Die Folge sei zum einen ein "politischer Moralismus, eine Fern-Ethik im Zeitalter des Fernsehens" (S. 80), die Safranski auch für die neuen Kriege verantwortlich macht, die "aus der Luft" geführt werden, ohne ein eigenes Risiko eingehen zu müssen, mit der Folge freilich, dass auch unbeteiligte Zivilisten und zivile Ziele in größerem Umfang getroffen werden. Eine zweite Folge der medialen Erregung sei die Spaltung zwischen der öffentlichen, globalen Zukunft und der privaten: "Der beruhigende Gedanke an die eigene Altersversorgung koexistiert friedlich mit der leidenschaftlichen Apokalypsepredigt." (S. 87) Was soll nun werden? Safranski ist überzeugt, dass Globalisierung gestalten, eine Aufgabe bleibe, die sich nur bewältigen lasse, "wenn darüber nicht die andere große Aufgabe versäumt wird: das Individuum, sich selbst, zu gestalten." (S. 73) Sein Ausblick lässt sich somit kurz fassen mit der Aufforderung: "Platz schaffen". "Eine Lichtung schlagen" bedeute, so der Philosoph in Anspielung an die Urbarmachung von Boden in der Frühzeit, "Verhaltens- und Denkweisen pflegen, die zur globalisierten Hysterie nicht recht passen wollen: die Verlangsamung, den Eigensinn, den Ortssinn, das Abschalten, das Unerreichbar-Sein." (S. 110) Denn nicht nur der Körper, auch unser Geist brauche "einen Immunschutz; man darf nicht alles in sich hineinlassen, sondern nur soviel, wie man sich anverwandeln kann." (S. 111) Safranskis Ausführungen treffen in der Tat die verdrängten Seiten des Globalisierungsdiskurses und lassen idealistischer Schwärmerei keinen Platz. Kritik ist jedoch angebracht hinsichtlich des doch sehr rudimentären Verständnisses von Wirtschaft. Die ökonomische Globalisierung auf die Suche des (bösen) Kapitals nach Anlagemöglichkeiten zu reduzieren, unterschätzt die - und hier könnte vielleicht der vom Autor kritisierte Idealist Kant doch noch Recht bekommen - emanzipatorische Kraft weltwirtschaftlicher Kooperationen. Die Trias aus Marktwirtschaft, Demokratie und Zivilgesellschaft - das Erfolgsmodell des sozial gezähmten Kapitalismus im Europa der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts - könnte, angestoßen durch einen demokratisierten globalen Wissenstransfer, im neuen Jahrhundert zu einer Weltgesellschaft mit deutlich verringerten Ungleichheiten führen. Und bei aller Komplexität der Globalisierung ist uns doch zuzumuten, uns der "Weltverwicklungen", die weit in unseren Alltag hinreichen (Ernährung, Kleidung...) bewusst zu werden. Hans Holzinger
Personen: Safranski, Rüdiger
Safranski, Rüdiger:
Wieviel Globalisierung verträgt der Mensch? / Rüdiger Safranski. - München [u. a.] : Hanser, 2003. - 117 S.
ISBN 978-3-446-20261-0 fest geb. : ca. EUR 15,40
Soziologie, Ethnologie - Signatur: GS SAF - Buch: Sachbuch