Pressl, Katharina
Andere Sorgen Roman
Buch

Quelle: bn.bibliotheksnachrichten (http://www.biblio.at/literatur/bn/index.html)
Autor: Uschi Pirker;
Roman über eine Frau, die in das Dorf ihrer Kindheit zurückkehrt. (DR)
Die Ich-Erzählerin ist eine junge, kinderlose Frau, die das Haus ihrer Eltern für den Verkauf vorbereiten soll, da ihre Mutter in ein Altersheim gezogen ist. Da ihr das Aussortieren und Entsorgen der Erinnerungsstücke große Mühe bereitet und dadurch wesentlich länger dauert als erwartet, verlängert sie ihren Urlaub für einige Wochen. Um sich zwischendurch abzulenken, besucht sie ihre früheren Freunde oder verbringt Zeit mit ihrer Mutter. Im Gespräch mit dieser erfährt sie, dass die noch rüstige und agile Frau gemeinsam mit anderen Altersheim-Bewohnern einen Streik zugunsten des Pflegepersonals initiieren will. Die Tochter wird in die Vorbereitungen einbezogen und hilft schließlich gemeinsam mit ihren Freunden bei einer spektakulären "Entführung" der Bewohner_innen nach Slowenien.
Ergänzend zu dem geschilderten Handlungsstrang gibt es noch weitere, die an die Geschichte ihres Vaters und an das Verhalten einer Pflegerin des Heims anknüpfen.
Die Sprache ist ungewöhnlich, die Satzkonstruktionen folgen einem eigenen Muster. Die Gegenstände werden häufig als "belebt" empfunden. Für einen Debütroman ist der Text sprachlich durchaus gelungen und wartet inhaltlich mit einigen Überraschungen auf. Dem Roman hätte jedoch ein Weniger an Handlungssträngen gutgetan. Die "Entführung" der Senior_innen ist humorvoll dargestellt, doch die Situation an sich ist wenig plausibel.
Insgesamt ein Roman, den man lesen sollte.

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Quelle: Literatur und Kritik;
Autor: Harald Gschwandtner;
Revolte in der Hohen Wonne
Katharina Pressls Debütroman "Andere Sorgen"
Von Raymond Chandler stammt die vielzitierte Sentenz, nichts sei so leer wie ein leerer Swimmingpool. Auch der Umschlag von Katharina Pressls erstem Roman Andere Sorgen zeigt ein Schwimmbecken außer Betrieb. Hier wie dort, bei Chandler wie bei Pressl, ist dieses Bild auch ein Zeichen, ein Hinweis auf einen emotionalen Zustand. Ausgehend von einem bewährten literarischen Erzählmodell entwirft die Autorin in Andere Sorgen das Porträt eines diffusen Generationengefühls zwischen Melancholie und Widerstand, zwischen Zweifel und Revolte.
Am Beginn stehen ein Abschied aus der Stadt, eine Autofahrt aufs Land und der Plan zur Entrümpelung eines Hauses, das einmal das eigene Zuhause war. Nach der Übersiedlung der Mutter ins Altersheim "Hohe Wonne" steht das Haus der Familie leer. Die Tochter, die in der Stadt als Journalistin arbeitet, steht vor der Herausforderung, sich nicht nur mit einer Menge an Hausrat, sondern auch mit der eigenen Vergangenheit beschäftigen zu müssen.
"Ich bin am leichtesten in meinem Leben zu entbehren, daher ist das Haus meine Aufgabe", heißt es einmal, und das ist auch als Vorwurf an die Halbschwester gedacht, die sich wegen eigener familiärer Verpflichtungen weitgehend aus dem Spiel nimmt. "Meine Schwester ist ein akzeptiertes Ideal, die Realität stimmt bei ihr mit den geläufigen Vorstellungen, wie sie sein sollte, überein." Wiederholt rücken die konträren Lebensmodelle der Geschwister in den Blick; immer wieder erweisen sie sich als Quelle emotionaler Unsicherheiten und unausgesprochener Konflikte.
Die Qualität des Romans besteht nun wesentlich darin, dass er einem etablierten Sujet (Kind kehrt nachhause zurück und ist mit dem Archiv seiner Familie konfrontiert) einen spezifisch neuen Akzent verleiht. Denn als die Protagonistin in ihrem Heimatort eintrifft und die Mutter im Altersheim besucht, bahnt sich dort gerade ein Streik an, der auf die prekären Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte aufmerksam machen soll. Rasch wird die Heimkehrerin in die Sache hineingezogen: endlich etwas, wofür sich der Einsatz lohnt.
"Die Stadt steht", lautet gleich der erste Satz des Romans, und indem die Protagonistin das Verkehrschaos der Metropole hinter sich lässt, gerät auch ihr Leben in Bewegung. Verhält sie sich zunächst noch "erwartungsgemäß" und reflektiert darüber, welches Bild sie von sich abgibt, tritt diese angstvolle Rücksicht mehr und mehr in den Hintergrund. Weit davon entfernt, die "Ursprünglichkeit" der Provinz zu verklären, zeigt die 1992 in Wolfsberg geborene Autorin, dass nicht nur Optionen und Chancen, sondern auch Sorgen und Hoffnungen in der neuen Umgebung andere sind - und dass das Gefühl der Zugehörigkeit überall ein fragiles ist.
Katharina Pressl findet damit nicht zuletzt einen sinnfälligen literarischen Ausdruck für das diffuse, seltsam bedrängende Gefühl einer Generation, die von nicht enden wollenden To-do-Listen geplagt und von der eigenen Unzulänglichkeit schnell überzeugt ist: "Würde ich immer warten, bis ich mir sicher bin, qualifiziert genug zu sein, würde ich gar nichts mehr sagen." It doesn't take much to make me feel small, heißt es in jenem Song der Band Crywank, den die Protagonistin gleich im ersten Kapitel im Auto hört. Damit, sich klein, entbehrlich und nicht wirklich handlungsmächtig zu fühlen, wird sie immer wieder hadern. "Was ist mit der Welt, dass sie mich ständig zwingt, sie unfair zu finden." Es sind unscheinbare, lakonische Sätze wie dieser, die bei Lektüre von Andere Sorgen nachhallen.
Für das erzählerische Verfahren des Romans spielen, und das trägt ganz wesentlich zu seiner Charakteristik bei, popkulturelle Verweise und Zitate eine wichtige Rolle. Wenn die heimgekehrte Journalistin am Ende mit aller Kraft in einen Abgrund brüllt, ist man etwa unwillkürlich an die ikonische Szene von Zach Braff's Garden State erinnert. Gerade im ersten Kapitel werden ein ums andere Mal Songtexte eingespeist, um dem Lebensgefühl der zentralen Figur erzählerisch auf die Spur zu kommen. My thoughts were so loud, I couldn't hear my mouth. In der Nacht, bevor die Transporter zur Entrümpelung des Hauses anrücken, hören wir am Küchentisch Tracy Chapman. You got a fast car. I got a plan to get us out of here. Der Mut zur Grenzüberschreitung, zur Nicht-Erfüllung gesellschaftlicher Erwartungen ist in Andere Sorgen einer, dessen Script Anleihen an den Aufbruchs- und Emanzipationserzählungen der Populärkultur nimmt.
Katharina Pressls Roman ist ein nachgerade typisches Debüt: sprachlich mitunter etwas ungelenk, dafür eigensinnig und verspielt. Stolpert man bei der Lektüre auch hie und da über allzu gefinkelte Formulierung, überzeugt der Roman doch in the long run nicht zuletzt mit einem klugen Gespür für die sozialen Verwerfungen unserer Gegenwart.


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Personen: Pressl, Katharina

Schlagwörter: Alltag Protest Altersheim

Pressl, Katharina:
Andere Sorgen : Roman. - Salzburg ; Wien : Residenz Verlag, 2019. - 180 Seiten. -
ISBN 978-3-7017-1706-4

Zugangsnummer: 4272 - Barcode: 1357
Romane, Erzählungen und Novellen - Signatur: DR - Buch