Ehe ein System zu Ende geht, zuckt es noch einmal wie wild auf und wird Post-Etwas genannt. So ist der Post-Kapitalismus noch wilder als der Kapitalismus, und die Post-Krimitis stärker als alle sogenannten Krimis. Wolf Haas ist seit jeher ein Postkrimi-Autor, seine Figuren haben den reinen Kriminalfall stets beiseitegelassen und sich den existenziellen Grundsorgen der Protagonisten zugewendet, egal wie gut oder böse diese auch sind. Die Stammfigur Brenner hat alle Lebenskurven hinter sich gebracht und ist auch schon im Jenseits gewesen. Am aktuellen Bio-Radarschirm ist Detektiv Brenner in Pension, gelangweilt, zwischendurch erotisiert und abgestoßen von den Frauen. Wie bei älteren Herrn üblich spielt Brenner am Internet herum und erstellt ein geschöntes Porträt, für das er als Passwort Brennerova nimmt. Es könnte ja sein, dass eine Russin seine Frau wird, dann müsste sie logischerweise Brennerova heißen. Da Brenner ein Typ ist, bei dem das Unwahrscheinlichste normal ist, während er vor Normalität kaum noch normale Züge aufweist, geht auch die Russinnen-Sache gut aus. Er wird auf dem Weg zum ersten Date in Moskau ordentlich zusammengeschlagen, doch dann kann die anvisierte Brennerova nach Wien kommen um ihre Schwester zu suchen, und eine Scheinehe mit dem Ruheständler ermöglicht den Aufenthalt. Während Brenner auf seine Russin fokussiert ist, ist er längst in die Fänge seiner Freundin Herta geraten, die für Stimmung, Lebensplanung und Hormonausgleich zuständig ist. Herta fädelt immer alles ein, ehe sie in ein schamanisches Kraftfeld in die Mongolei aufbricht. Natürlich darf man als Rezensent auch einen Brenner-Fall nicht im Voraus verraten, aber bei Wolf Haas geht es dermaßen über-logisch zu, dass man eigentlich nichts verraten kann. Das Verrückteste ist geradezu das Normale. So werden zwei Gangster mit abgehackten Händen angeliefert, denen man die falschen Gliedmaßen annäht, wie sich später beim Dechiffrieren der Tattoos herausstellt. Phasenweise übernehmen im Roman die Tattoos die Überhand und erzählen eine ganz andere Geschichte, als es die darin versteckten Figuren wahrhaben wollen. Die Sprache ist überhaupt die Heldin in Wolf Haas' Roman. In einem verdutzten Du-Stil, der sich an Helden wie Leser gleichsam wendet, werden die Ereignisse kommentiert, während sie geschehen. Dieser Stil überwindet auch die üblichen Krimi-Strategien, indem auch der Krimi durch Kommentar in Echtzeit verhöhnt wird. "Weil ohne Sprache kommst du nie zu dem Punkt, wo du die Halbautomatische einsetzen kannst." (188) Brenner weiß genau, wie so ein Brenner funktionieren muss, die Hauptfigur analysiert die eigene Unzulänglichkeit und kann doch nichts daran ändern, wie auch Autor und Leser nichts anders mit dem Text machen können, als ihn hemmungslos zu exekutieren. Und das Ganze ist obendrein noch witzig, sarkastisch, österreichisch, rentnermäßig geil! Helmuth Schönauer
Rezension
Personen: Haas, Wolf
Haas, Wolf:
Brennerova : Roman / Wolf Haas. - 1. Aufl. - Hamburg : Hoffmann und Campe, 2014. - 238 S.
ISBN 978-3-455-40499-9 ca. Eur 20,60
DR.D - Signatur: DR.D Haa - Belletristik