Wenn etwas an der Oberfläche glatt und verlogen ist, muss man das Botox eben unterirdisch spritzen in Gestalt von Groteske und Anarchie. Radek Knapp schickt seinen Ich-Erzähler zu einer Rosskur nach Österreich. Der zwölfjährige Walerian wird von seiner Mutter in ein Migrationsprogramm gesteckt. Sie reisen von Warschau an und landen an einem Feld hinter einem Schranken, das da drüben ist Österreich. Für den Helden und Ich-Erzähler beginnt in Wien das Leben bei Null, aber die erste Lektion tut sich sofort auf: Man lernt auf dem Weg zur Schule und nicht in der Schule. Und außerdem sind sich nicht einmal die Einheimischen über ihre eigene Sprache im Klaren, so kann ein Schragen in der einen Montagehalle etwas anderes bedeuten als in der nächsten. Der Held hat nur zwei deutsche Sätze, die er aber ununterbrochen auspackt und mit denen er fast alles erreicht, zumindest Gelächter. "Wo ist Sturmbannführer Strettke. Mein Gewehr hat eine Ladehemmung." Richtig Schulschwänzen kann in Arbeit ausarten, Walerian treibt sich unauffällig im Kunsthistorischen Museum herum und zehrt von den Erzählungen des Großvaters, wenn dieser in einem Kriminalroman von einem Mann liest, der Luft zum Frühstück isst. (38) Als er von der Schule fliegt, wird er auch von der Mutter auf die Straße gesetzt. Die Arbeiten klingen schöner, als sie sind. Kakao zustellen, Zettel verteilen, an der Würstelbude Würstel mit Senf präparieren Da ist der Beruf des Heizungablesers schon eine schöne Performance auf der Karriere-Leiter nach oben. Ständig drücken ihm Hartz-Vierler einen Schein aufs Auge, wenn er die verbrauchte Energie günstig abliest. Und ein Ehepaar in Scheidung überlässt ihm gar die Wohnung, bis sie mit der Scheidung durch sind und selber wissen, wie es mit der Wohnung weitergeht. Frauen riechen das, wenn jemand eine freie Wohnung hat, und in Kombination mit der Ladehemmung seines Gewehres ergeben sich die schönsten Liebschaften. Freilich kommt eine alte Psychose zum Vorschein, das Augenstarren. Walerian sitzt oft eine Viertelstunde vor einem Heizkörper und liest ihn mit erstarrten Augen ab. Bei genauerem Hinsehen merkt man, dass jeder Mensch eine gewisse psychotische Erstarrung hat, denkt sich der Held und gründet für solche Fälle einen Heimatverein und punktet mit dem Satz: Die Heimat ist eine Schlampe! Jetzt ist er aber wirklich in der neuen Heimat angekommen, zumal er sogar schon Suizidanten rettet mit dem Satz: Warte, der Sprung rennt dir nicht davon. Er wird das jetzt alles aufschreiben, aber nicht als Kindergeschichte, sondern in echt, mit echten Erwachsenen drin. - Famos. Helmuth Schönauer
Rezension
Personen: Knapp, Radek
Knapp, Radek:
¬Der¬ Mann, der Luft zum Frühstück aß : Erzählung / Radek Knapp. - Wien : Deuticke, 2017. - 122 S.
ISBN 978-3-552-06336-5 fest geb. : ca. Eur 16,50
DR.I - Signatur: DR.I Kna - Belletristik