In Ausnahmezeiten zeigen sich die tiefsten Schichten der Persönlichkeit auf der Außenseite der Helden, während das übliche Gehabe oft in der Tiefe verschwindet. Wendezeiten wenden Innenwelt und Außenwelt des Individuums. Paulus Hochgatterer erzählt im Stile jener Gutachten, die er oft über die Psyche von irritierten Kindern verfassen muss, von Menschen im Ausnahmezustand in den letzten Kriegswochen. Auf einem Bauernhof im Gelände zwischen Linz, St. Valentin und Amstetten taucht ein verstörtes Mädchen auf, das ein paar Brocken einer verschütteten Biographie ausspuckt. Aus der Innensicht erfahren wir, wie es über das Sprechen der anderen, über Seitenbemerkungen und Brocken der Erinnerung zu einer schlüssigen Identität findet. Man nennt es Nelli, es ist bei einem Bombenangriff auf die Nibelungenwerke übriggeblieben und angeblich Donauschwabe. Ein ähnliches Identitätsspiel wiederholt sich, als der Künstler Michail auftaucht, er ist vielleicht auf der Flucht, weil er aus der Nähe von Minsk ist und für einen gefangenen Russen gehalten wird. Seine Malerkünste sind vermutlich Tarnung, denn in diesen Tagen muss sich jeder seine Geschichte zusammensetzen. Gefährlich wird es, als ein Wehrmachtsleutnant mit zwei Gefreiten auftaucht und sich zuerst verpflegen lässt, ehe er dann doch noch zum Standrecht greift. Oder auch nicht, denn in die Erzählung von den Identitäten sind drei Geschichten vom Beinahe-Sterben eingearbeitet. Ein Bub darf mit dem Ackerschlepper in die Au mitfahren und ertrinkt nach gängiger Erzähl-Lage. Andererseits wird er gerettet, sagen andere, zumindest die erzählte Nahtod-Erfahrung ist gewiss. In der zweiten Geschichte fliegt ein amerikanischer Bomberverband Richtung Linz, ein gewisser Benjamin Shaffer wird abgeschossen und der Mob will ihn lynchen. Da tritt ein Besonnener hinzu und liest aus seiner Militärmarke vor, dass er gegen Tetanus geimpft ist. Diese Erkenntnis beruhigt die Masse und man überstellt den Gefangenen in ein Lager. In der dritten Episode wir Michail standrechtlich erschossen, nach anderer Erzählweise wendet sich der Leutnant ab, weil Kriegsschluss ist. Wir Leser können uns wünschen, was wir für richtig halten, und so könnte die Geschichte dann gewesen sein. Auf jeden Fall müssen wir einen gewissen Standpunkt einnehmen, um die Geschichte begreifen zu können, und darum geht es, richtig und falsch kommt später. Paulus Hochgatterer erfüllt diesen verzweifelten Lesern, die zwischen den Stühlen der Entscheidung sitzen, einen letzten Wunsch und lässt die Sache gut ausgehen. Der Großvater irritiert den Leutnant und schießt ihm eine Schrotladung in die Brust. Ja, jetzt ist die Geschichte gut ausgegangen und der Großvater vielleicht ein Held, aber hilft uns dieses gute Ende über die Leseromantik hinaus? Helfen nicht vielleicht die brutalen Geschichten mehr als die therapeutischen? Helmuth Schönauer
Rezension
Personen: Hochgatterer, Paulus
Hochgatterer, Paulus:
¬Der¬ Tag, an dem mein Großvater ein Held war : Erzählung / Paulus Hochgatterer. - Wien : Deuticke, 2017. - 110 S.
ISBN 978-3-552-06349-5 fest geb. : ca. Eur 18,50
DR.G - Signatur: DR.G Hoc - Belletristik