Bis vor kurzem mussten Autorinnen für einen brisanten politischen Stoff nach Kalabrien, Tschetschenien oder an die US-Mexikanische Grenze ausweichen, um ihre blutrünstigen Clan-Helden zu installieren. Jetzt ist dieses politische Gemisch aus Staatsversagen, Korruption und Populismus mitten in Europa angekommen. Eva Rossmann erzählt im Sinne einer Dystopie der Gegenwart von einem Informations- und Demokratiesystem, das aus den Fugen geraten ist. Die Geschehnisse kommen in Echtzeit in den Roman, so dass niemand mehr richtig feststellen kann, was Geschichte und was Zukunft ist. Im Netz explodiert die Nachrichtenlage, indem plötzlich eine Heilsgeschichte der perversen Art über die Screens rollt. Der Führer der Patriotischen Sozialen soll auf einem Hügel gekreuzigt worden sein, Der Tat und allgemein verdächtigt werden abgetauchte Asylwerber, von denen man weder die Anzahl noch ihre Konsistenz kennt. Die Hauptfigur des Politthrillers ist das Netz selbst, wo ein gewisses ES Leadership an den Tag legt, um die Bevölkerung gegen alles und schließlich gegen sich selbst aufzuhetzen. "Glaubst du, das Netz hat sich verselbständigt", fragt einmal ein Nebenheld ganz besorgt. Unterhalb des allgegenwärtigen Netzes verlaufen Reststrukturen menschlichen Zusammenlebens. Die alte Frau Klein, Jahrgang 1934, geht noch als Zeitzeugin an die Schulen, in der Hauptsache um selbst fit zu bleiben, denn ihre Schüler haben von österreichischer Zeitgeschichte keine Ahnung. Sie selbst tut sich noch einmal eine Verliebtheit mit Herrn Pribil an, zusammen versuchen sie mit Lebenserfahrung, dem Chaos im Netz und auf den Gerüchtebörsen zu begegnen. Am anderen Ende der Lebenserfahrung steht ein syrisches Ehepaar, das von der Pfarre betreut wird und sich nur wundern kann, welche Vorurteile und Vorsichten gegen es gerichtet sind. Seit der Ehemann verschwunden ist, bringt man ihn mit der Kreuzigung in Verbindung. Der Showdown verlagert sich schließlich nach Brüssel, wo die Patrioten einen Anschlag planen, der Asylwerbern in die Schuhe geschoben werden soll. Und auch die Kreuzigung des Führers kann aufgeklärt werden. (Das Böse hat immer etwas Spannendes an sich und darf deshalb hier nicht verraten werden.) Im Roman wimmelt es nur so von Zitaten und Anspielungen, das Geilomobil taucht genauso auf wie manch berüchtigter Sager der Politik. Die aktuelle Gesellschaftslage wird ein paar Monate in die Zukunft gespiegelt und mit allerhand Fiktionen ausgestattet, die womöglich Wirklichkeit werden. Wenn es so etwas wie eine Moral gibt, dann liegt sie in der Erkenntnis, dass eine Tat heutzutage im Netz genauso wirksam ist wie in der sogenannten Realität. So könnte man bei den "Patrioten" von einem Desaster-Roman sprechen, aus dem es nur einen Ausweg gibt, ihn fertig zu lesen. Helmuth Schönauer
Rezension
Personen: Rossmann, Eva
Rossmann, Eva:
Patrioten : Roman / Eva Rossmann. - Wien : FolioVerlag, 2017. - 342 S.
ISBN 978-3-85256-725-9 ca. EUR 22,00
DR - Signatur: DR Ros - Belletristik