Hackl, Erich
Als ob ein Engel Erzählung nach dem Leben
Buch

Quelle: bn.bibliotheksnachrichten (http://www.biblio.at/literatur/bn/index.html) Autor: Karl Vogd; Ein Denkmal für ein Opfer der argentinischen Militärdiktatur. (DR) In der Erzählung "Als ob ein Engel" greift Erich Hackl das Schicksal einer jungen Frau auf, die in der Zeit der argentinischen Militärdiktatur verschwand. Am 8. April 1977 machen bewaffnete Zivilpolizisten in der Stadt Mendoza Jagd auf Gisela Tenenbaum, José Galamba und Ana Mariá Moral. Die drei jungen Leute sind Mitglieder der militanten Untergrundorganisation Montoneros. Ana Mariá Moral wird bald erwischt. José Galamba entkommt, wird aber ein paar Monate später festgenommen und verschleppt. Er taucht nie wieder auf. Was mit Gisela Tenenbaum passierte, bleibt unklar. Wurde sie sofort gefasst und getötet? Wurde sie in eines der vielen Lager der Diktatur gebracht und dort gefoltert? Gelang ihr vielleicht doch die rettende Flucht ins Ausland? 30 Jahre später befragt Erich Hackl Giselas Eltern, Schwestern und Freunde, um aus dem "Geflecht aus Stimmen" die Persönlichkeit der jungen Frau herauszuschälen. Was er berichtet, ist auch eine Familiengeschichte. Gisis Eltern stammen aus Wien und lernten sich erst in Lateinamerika kennen. Als Kinder waren sie mit ihren Eltern vor der Nazidiktatur geflüchtet. Die Exilanten bauten sich in Argentinien mühevoll eine neue Existenz auf und absolvierten unter großen Entbehrungen ein Medizinstudium. Als Ärzte sind sie sozial engagiert und setzen sich für die Armen ein. Großen Einsatz für andere zeigt auch ihre hochbegabte Tochter. Den bewaffneten Untergrundkämpfern schließt sich Gisi aber aus eigenem Entschluss an. Warum sie sich von den Guerilleros nicht lossagt, als deren Sache aussichtslos ist, ist eine der Fragen, um die die Erzählung kreist. Wie in seinen früheren Büchern will Hackl den Opfern historischer Ereignisse eine Stimme geben. Er hat penibel recherchiert und vermeidet in seinem schnörkellosen Berichtstil jedes Pathos. Die Erfahrungen der Elterngeneration stellt er in alternierenden Sequenzen geschickt neben das Schicksal der Tochter. Damit verdeutlicht er hervorragend, wie sehr das Leben beider Generationen von der Auseinandersetzung mit Gewalt und Faschismus geprägt ist. Ein bewegendes Schicksal, das von Hackl ohne einen Hauch von Rührseligkeit erzählt wird. ---- Quelle: Literatur und Kritik; Autor: Julia Kospach; Alles, was es braucht Erich Hackls "Als ob ein Engel" In Erich Hackls Büchern gibt es keine programmatischen Sätze. Sie sind pur im Erzählen ihrer Geschichten. Großzügig geben sie anderen Stimmen Raum. Nachzuerzählen, worum es in ihnen geht, bedeutet deshalb immer auch eine kleine Verstümmelung, weil Hackl immer schon die dichtest mögliche Form des Erzählens gefunden hat. Als Chronist sieht Hackl von sich selbst ab. Er ist der, der das Material sammelt und aufschichtet, der es ordnet und in Form bringt, der es in die Sprache der Literatur kleidet. Er sieht es nicht als seine Aufgabe, das Gehörte zu deuten. Was offen bleibt und lückenhaft, was vage oder unbekannt ist, kleistert er nicht mit Behauptungen zu. Er hat keine Angst vor Leerstellen. Manchmal wagt er eine vorsichtige, respektvolle Vermutung. "Es ist anzunehmen, dass ihnen das Zusammenleben auf engem Raum zusätzliche Nervenkraft abverlangt", heißt es zum Beispiel an einer Stelle in seinem neuen Buch "Als ob ein Engel". Mehr erlaubt sich Hackl nicht. Er vertraut der Kraft des Bildes, das sich Mosaikstein für Mosaikstein immer deutlicher vor den Augen seiner Leser zusammensetzt. Erich Hackl muss ein guter Zuhörer und Fragensteller sein, ein Neugieriger im besten Sinn des Wortes, der die Begabung besitzt, aus Gesprächspartnern Freunde zu machen. Wahrscheinlich hat er sich als Schriftsteller schon allein deswegen nie für die Fiktion interessiert. Zu groß ist sein Interesse an realen Begegnungen und Schicksalen. Fesselnder als alles, was er sich je ausdenken könnte, war für ihn immer die Wirklichkeit. Hackl schreibt mit Geduld und Zurückhaltung. Seine Diskretion bringt Ruhe in die aufwühlenden Lebensgeschichten, die das große Thema seines Schreibens sind. So entsteht ein weiter Blick. Mit den Mitteln der Literatur unternimmt Hackl Rettungsversuche. Die Toten kann er nicht lebendig machen, kann nicht Einfluss nehmen auf den Gang der Geschichten, die er aufzeichnet, aber er kann in seinen Büchern an Schicksale erinnern und damit Freunden und Verwandten der Toten helfen. Er erinnert an Schicksale wie das des von den Nazis ermordeten Zigeunermädchens Sidonie, deren Leben Hackl 1989 in "Abschied von Sidonie" nachgezeichnet hat. Oder an das der uruguayanischen Oppositionellen Sara, die ihm von Folterungen in argentinischen Lagern, von politischem Widerstand in Zeiten der Militärdiktatur und der vergeblichen Suche nach ihrem Sohn Simón erzählt hat. Er hat ihre Odyssee aufgeschrieben. "Sara und Simón" hieß das Buch, das daraus entstanden ist. Es trug den Untertitel "Eine endlose Geschichte". Hackls neues Buch "Als ob ein Engel", das ebenfalls nach Argentinien führt, ist mit "Erzählung nach dem Leben" unterschrieben. Schon diese Bezeichnung allein ist Ausdruck der schlichten Tiefe von Hackls Schreiben. "Sie hatte alles, was es braucht, ein freier Mensch zu werden. " Die junge Frau, über die ein so schöner Satz gesagt werden konnte, hieß Gisela Tenenbaum - Tochter von Helga und Willi Tenenbaum, zwei in den 1930er Jahren vor den Nazis aus Wien geflohenen Österreichern jüdischer Herkunft. Man weiß, dass der Karfreitag des Jahres 1977 der letzte Tag war, den ihre mittlere Tochter Gisela Tenenbaum mit Sicherheit noch erlebt hat. Sie war 22, als sie verschwand. Es besteht wenig Zweifel daran, dass Gisela ermordet wurde. Als untergetauchte Guerilla-Kämpferin verschwand sie in einem Folterkeller der argentinischen Militärjunta. In "Als ob ein Engel" erzählt Erich Hackl Giselas Geschichte und die ihrer Familie. Sein Porträt einer ungewöhnlichen jungen Frau, die nicht mehr selbst über sich Auskunft geben kann, setzt Hackl aus einer Vielzahl von Stimmen zusammen: Gisis Schwestern Heidi und Mónica, ihre Eltern, Freunde, Mitkämpfer, Nachbarn, ehemalige Schul- und Studienkollegen. Die Fragmente ergeben ein dichtes Gewebe, aus dem sich nach und nach das Porträt einer ungeheuer strahlkräftigen jungen Frau herausschält. Und nicht nur das: Hackl erzählt auch von einem Verlust, der für die Zurückgebliebenen noch nach drei Jahrzehnten nicht verkraftbar geworden ist, von Schmerzen und Erinnerungen, mit denen sich nicht abschließen lässt, weil da nie eine Leiche war, die man hätte betrauern, nie ein Todestag, den man in rituellen Handlungen hätte auffangen können. "Wie trauert man um eine Schwester, eine Tochter, eine Tante, eine Großtante inzwischen, die weg und doch da ist. Niemand in der Familie wird mit dieser Situation fertig, jeder reagiert anders." Mónica, das jüngste der drei Tenenbaum-Kinder, sucht bis heute in jedem Paar blauer Augen, in jeder blonden Locke ihre verschwundene Schwester. Die ältere Schwester Heidi hat in ihren Träumen ihre zwei Schwestern zu einer einzigen vermischt, um mit dem Verlust fertig zu werden. Hackls Schreiben ist so leise, dass man darüber fast den Hochseilakt vergisst, den es bedeutet, über ein so heikles Schicksal wie das von Gisela Tenenbaum zu schreiben. Immer wieder begegnet Hackl Menschen, die Giselas Wirkung auf ihre Umgebung mit der eines Engels vergleichen - "ein besonderes Wesen, ein Engel" sei sie gewesen, eine Frau, die die Menschen, die mit ihr in Berührung kamen, dazu bewegte, in ihrer Gegenwart das Beste von sich zu zeigen. Man spürt Hackls Versuch, dem Engel-Charisma seiner - abwesenden - Heldin auf den Grund gehen zu wollen. Er ist ihm darum zu tun, ein Erinnerungsgebäude für einen erinnerungswürdigen Menschen zu errichten, der durch sein Verschwinden aus der Zeit gefallen und für alle Ewigkeit im hoffnungsgetränkten, erwartungsbesetzten Alter von 22 stehen geblieben ist. Eines der zentralen Themen seines Buches ist die Auseinandersetzung mit der hypnotischen Wirkungsmacht, die ein Mensch auf Jahrzehnte hinaus durch sein plötzliches Verschwinden entwickeln kann. Das Engelhafte an Gisela Tenenbaum wächst in der Erinnerung derer, die zurückgeblieben sind. Giselas Charakter scheint im Rückblick wie eine Provokation für alle Mittelmäßigen: Fleiß, Bescheidenheit und kameradschaftliches Verhalten paarten sich in ihr mit ruhiger Selbstsicherheit, Klugheit und sozialem Bewusstsein. Hackl beschreibt sie als so unwidersprochen außergewöhnlich, dass sie keinerlei Neid und Missgunst auf sich zog. In diesem Sinn ist sie eine typische Hackl-Heldin: Eine geradlinige, kraftvolle junge Frau voll brennendem Mitgefühl, bereit, im Kampf für eine menschengerechtere Welt alles in die Waagschale zu werfen. Aber es wäre nicht Erich Hackl, beschriebe er diese Besonderheit einfach nur als vom Himmel gefallene Gottesgabe. Hackl ist ein Autor, der sich für soziale Strukturen, für Milieus und politische Stimmungen interessiert. Er sucht nach den Gründen, die die Entwicklung eines so geglückten Menschen wie Gisela Tenenbaum begünstigt haben und findet sie in ihrer Familie, vor allem ihren Eltern. Die mitunter schönsten Passagen seines Buches erzählen vom Umgang des Ehepaars Tenenbaum mit ihren Kindern. "Sie vertrauten ihnen, und dieses Vertrauen schloss die Fähigkeit mit ein, Schwierigkeiten allein zu bewältigen." Sie sind Eltern, die günstige Voraussetzungen für die Entwicklung ihrer drei Töchter schaffen. Im Roten Wien der frühen 1930er Jahre sozialisiert, sind sie überzeugte Linke, durchdrungen von solidarischem Denken, respektvollem und ernsthaftem Umgang miteinander und von lebhaftem politischem Interesse. Später, als sich die politische Haltung ihrer Tochter Gisela radikalisiert, als ihr politisches Engagement innerhalb der Peronistischen Jugend sich immer deutlicher in Richtung eines gewaltbereiten, antidiktatorischen Guerilla-Kampfes entwickelt, geraten sie - vor allem Vater Willi Tenenbaum - an die Grenzen ihrer eigenen Erziehungsmethoden: "Es war unvorstellbar für ihn, seine Tochter von etwas abzubringen, das sie als richtig erkannt hatte." In dieser Situation entscheiden sich die Tenenbaums einmal mehr, ihrer Tochter Beistand zu leisten. Als Ärzte kümmern sie sich um verletzte Guerilla-Kämpfer, verstecken Verfolgte und halten immer Kontakt mit Gisela, die schon zwei Jahre vor ihrem endgültigen Verschwinden in den Untergrund abtauchen muss. Hackls Buch erzählt auch von diesem Dilemma: Wie schmerzhaft es ist, ein geliebtes, zur Entscheidungsfreiheit erzogenes Kind dabei zu unterstützen, wie es aus freien Stücken einen lebensgefährlichen Weg einschlägt.


Rezension


Dieses Medium ist verfügbar. Es kann vorgemerkt oder direkt vor Ort ausgeliehen werden.

Personen: Hackl, Erich

Hackl, Erich:
Als ob ein Engel : Erzählung nach dem Leben / Erich Hackl. - Zürich : Diogenes Verlag, 2007. - 169 S.
ISBN 978-3-257-06595-4

Zugangsnummer: 16174
Belletristik - Signatur: Belletrist Hac - Buch