Quelle: bn.bibliotheksnachrichten (http://www.biblio.at/literatur/bn/index.html) Autor: Cornelia Gstöttinger; Eine kurdische Migrantenfamilie in Deutschland und ihre tot geschwiegenen Wahrheiten. (DR) Im Frühjahr 1971 kommt Hüseyin aus dem Nordosten der Türkei nach Deutschland, seine Kinder sollen es einmal besser haben als er. Dreißig Jahre lang schuftet er rund um die Uhr. Nun, im ersten Kapitel von Fatma Aydemirs äußerst gelungenem Roman, besichtigt er kurz vor Pensionsantritt stolz seine neu erstandene 4-Zimmer-Wohnung in Istanbul - und stirbt. In jedem der folgenden Kapitel steht ein anderes Familienmitglied im Zentrum und langsam entblättert sich vor den bestürzten Leser*innen die ergreifende Geschichte dieser Migrantenfamilie. Schonungslos seziert Aydemir in diesem exzellent verfassten Buch, wie sich für Hüseyins Kinder und Ehefrau der Alltag in Deutschland anfühlt. Wie schwer es ist, als Arbeitsmigranten in einem fremden Land Fuß zu fassen, in dem man unerwünscht ist. Was passiert, wenn man einen Teil seiner Identität unter Verschluss hält, seine Muttersprache nicht mehr spricht. Da ist der stets überarbeitete Vater, grau, übermüdet und kaum greifbar für Frau und Kinder. Der sanfte Ümit, der mit den Unsicherheiten der Pubertät und seiner Sexualität hadert. Tochter Sevda, einst zurückgelassen in der Türkei und beinahe zwangsverheiratet, die darum kämpft, als alleinerziehende Mutter im Beruf stehen zu dürfen, und sich nichts sehnlicher wünscht, als ihr Analphabetentum hinter sich zu lassen und von den Deutschen als Geschäftsfrau anerkannt zu werden. Da ist die intelligente Peri, von Todessehnsucht getrieben und als Einzige in der Lage, die Dynamik im Beziehungsgefüge ihrer Familie zu analysieren und in Sprache zu fassen. Der Draufgänger Hakan, der sich weigert, wie sein Vater zu buckeln, sich immer mehr selbst verliert, seit ihn sein Vater nicht vor den deutschen Behörden in Schutz nahm, und zu einem wandelnden Kanaken-Betrüger-Klischee wird. Am berührendsten wohl dann das lange verschwiegene Trauma, das Hüseyins depressive Ehefrau mit sich herumträgt Fatma Aydemir kann unglaublich gut mit Sprache umgehen. Sie verleiht jedem Kapitel eine eigene Note, schreibt treffsicher und versiert. Dieses Buch zu lesen, ist ein Genuss. Es entwickelt einen Sog und stand zu Recht auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises. Stilistisch perfekt, erhellend und nachdrücklich empfohlen!
Rezension
Personen: Aydemir, Fatma
Aydemir, Fatma:
Dschinns : Roman / Fatma Aydemir. - München : Hanser Verlag, 2022. - 366 Seiten
ISBN 978-3-446-26914-9 EUR 24.70
Belletristik - Signatur: Belletrist Ayd - Buch