Verantwortung für das Leben Ethik in Christentum und Islam
BUCH

Der inzwischen vierte Band aus der Reihe "Theologisches Forum Christentum - Islam" (vgl. zum ersten Band: ThPQ 155 [2007], 312) dokumentiert die Beiträge einer Fachtagung, die vom 29.2. bis 2.3.2008 an der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart gehalten wurde. Die interreligiöse Auseinandersetzung erfolgte rund um das Thema "Verantwortung für das Leben", wobei es nicht um die Herausarbeitung eines Konsenses ging, sondern "um eine bilaterale christlich-muslimische Perspektive" (Hansjörg Schmid, Kays Mutlu, 12). Angezielt wird dabei eine Ethik im theologisch qualifizierten Sinn, welche "die Bezogenheit des menschlichen Handelns auf ein unbedingtes Sollen und auf die Handlungsziele einschließt" (16). Im ersten Abschnitt, der Grundlagen behandelt, folgen auf eine christliche und muslimische Darstellung Erwiderungen der jeweils anderen Religion. Hier wird deutlich, dass die interreligiösen Differenzen in der theologischen Anthropologie, den Menschen als "Bild Gottes" (Heike Baranzke, 37) oder als "Stellvertreter" (Abdullah Tak?m, 46) zu sehen, durchaus eine Rolle spielen. Der zweite Abschnitt setzt sich mit dem Zusammenleben in Partnerschaft und Familie auseinander, der dritte mit dem verantwortlichen Handeln in Staat und Politik. Sowohl der christliche als auch der muslimische Beitrag distanzieren sich deutlich von einer fundamentalistischen Gesellschaftsordnung. "Fest steht, dass der christliche Glaube nicht von sich aus zu einem integralistischen Gesellschaftssystem nötigt, in dem quasi per imperativem Mandat die aus dem Evangelium abgelesenen Grundnormen in unmittelbare und für alle verpflichtende Politik umgesetzt werden müssen" (Daniel Bogner, 125). Entsprechend lautet die muslimische Position: "Es gibt also keine korangestützte Herrschaftsordnung" (Nader Purnaqcheband, 134). Der vierte Abschnitt diskutiert Formen wirtschaftlicher Verantwortung und zeigt unter anderem "die zentrale Bedeutung des Gleichgewichtskonzepts" (Sefik Alp Bahadir, 172) als Ansatz zur (Weiter-)Entwicklung einer islamischen Wirtschaftsethik auf. Fragen der Biomedizin kommen im fünften Abschnitt zur Sprache. In diesem Zusammenhang spielt das "islamische Prinzip des Gemeinwohls (maslaha)" (D×evad Hod×ic, 203) eine wichtige Rolle - durchaus in gewisser Spannung zum christlichen Verständnis von Person, deren Würde weniger "aus der Sphäre des Rechts" abgeleitet wird, sondern als "einzig von Gott gewährleistet" (Thomas Eich, 214) begriffen wird. Der sechste Abschnitt bringt Möglichkeiten gesellschaftlicher Mitverantwortung der Religionen ins Gespräch. Eine solche Mitwirkung sieht Bülent Ucar für Muslime als verpflichtend an, und zwar "weniger durch Missionsarbeit, vielmehr durch aktives, vorbildhaftes Handeln und Standhaftigkeit" (248), welches Handeln im Übrigen auch die Wahrung der "Menschen- und Minderheitenrechte" (ebd.) einschließt. Als Ergebnis dieses intensiven interreligiösen Diskurses wird festgehalten, "dass der Begriff der Verantwortung zumindest der Sache nach in den Schriften und Traditionen beider Religionen vorhanden" ist (Andreas Renz, Abdullah Takím, 255) und "sich nicht nur auf die zwischenmenschliche Dimension, sondern auch und besonders auf das Gott-Mensch-Verhältnis bezieht" (256). Zugleich wird betont, dass es weder für den Islam noch für das Christentum genügt, "sich bei der Begründung der Ethik einfach auf die Offenbarungsquellen zurückzuziehen oder in einer Binnenmoral zu verharren"; beide Religionen müssen sich "um eine rationale, konsistente Argumentation bemühen, die sich anderen, nichtreligiösen Begründungsverfahren im offenen Diskurs stellt und philosophische Traditionen ebenso wie die Erkenntnisse der modernen Natur-, Sozial- und Humanwissenschaften berücksichtigt" (273). Diese Handlungsperspektive für zwei Weltreligionen, die beide beanspruchen, "umfassend zu definieren, was gelingendes Menschsein ausmacht" (274), ist ebenso ermutigend wie anspruchsvoll. So sehr dieses Programm zu begrüßen ist, so sehr muss auch die Frage gestellt werden, wie weit in konkreten Religionen nicht Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklaffen. Wenn es zum Beispiel heißt: "Im Zentrum des koranischen Menschenbildes steht die Eigenverantwortlichkeit des Menschen" (Hamideh Mohagheghi, 83), oder: "Alle Menschen - Männer wie Frauen - sind nach koranischem Verständnis vor Gott gleich" (87), kann die Realität von Unterdrückung und Marginalisierung in konkreten religiösen Lebenswelten nicht ausgeblendet werden. Was passiert denn, fragt Ulrike Bechmann zu Recht, "wenn Macht statt Dialog das Ruder in einer Gesellschaft übernimmt" (75)? Fragen dieser Art werden zwar angesprochen, müssen aber künftig noch stärker berücksichtigt werden, um dem faszinierenden Auftrag einer "Verantwortung für das Leben", wie er in diesem Band beispielhaft durchbuchstabiert wird, eine echte Chance zu geben. *Theologisch-Praktische Quartalschrift* 1/2010 Franz Gmainer-Pranzl


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Serie / Reihe: Theologisches Forum Christentum - Islam

Personen: Schmid, Hansjörg

Standort: Bibl.u. Mediens

Schlagwörter: Islam Christliche Ethik

241 Vera

Verantwortung für das Leben : Ethik in Christentum und Islam / Hansjörg Schmid ... (Hrsg.). - Regensburg : F. Pustet, 2009. - 277 S. - (Theologisches Forum Christentum - Islam)
ISBN 978-3-7917-2186-6

Zugangsnummer: 0018140001
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