Quelle: 1000 und 1 Buch (http://www.1001buch.at/) Autor: Hans Gerald Hödl; Annotation: Eine Parabel über das Erwachsenwerden, Erziehung und Gewalt in unserer Gesellschaft, in der die Suche einer Schulklasse nach dem Lebenssinn eine grausame Wendung nimmt. Rezension: Was im Leben wichtig ist - die Frage danach stellt Janne Teller in ihrem parabolischen Roman auf neue, naive und grausame Art. Der Siebtklässler Pierre Anthon aus dem dänischen Vorort Taering will eines Tages erkannt haben, dass nichts eine Bedeutung hat. Statt gemeinsam mit den anderen die Erwartungen zu erfüllen, die an ihn gestellt werden, setzt er sich in einen Pflaumenbaum und verhöhnt sie. "Alles ist egal", schrie er eines Tages. "Denn alles fängt nur an, um aufzuhören. In demselben Moment, in dem ihr geboren werdet, fangt ihr an zu sterben. Und so ist es mit allem." Seine MitschülerInnen machen sich daran, ihn zu widerlegen und türmen einen "Berg der Bedeutung" auf, für den jede und jeder von ihnen etwas hergeben muss, dessen Verlust schmerzt. Doch sie gehen zu weit, opfern dem Kult um die Bedeutung ihre Ideale, ihren Glauben, ihre Körper und ihre Würde. Diese Erosion der Menschlichkeit wird in einem naiv-kindlichen Duktus erzählt, was eine bisweilen schwer erträgliche Intensität erzeugt, wenngleich die Handlung zu keinem Zeitpunkt im mimetischen Sinne "realistisch" erscheint. So sehr die provozierenden Fragen Pierre Anthons die Kinder auch erschüttern, so verzweifelt sie nach einer erlösenden Antwort suchen - die Hilfe eines Erwachsenen in Anspruch zu nehmen, ist für sie ausgeschlossen, "denn die Erwachsenen wollen nicht hören, dass wir wissen, dass nichts wirklich etwas zu bedeuten hat und dass alle nur so tun als ob." Und so ist der Roman nicht nur eine große Provokation, sondern auch eine zielsichere Kritik unserer Heuchelei und unseres buchstäblichen Ausverkaufs der Werte. "Ein mutiges Buch", so liest und hört man vielerorts. Doch stimmt das wirklich? Vor hundert Jahren waren die Fragen Pierre Anthons gefährlich und mutig. Sind sie es heute wieder, weil sie in einem Roman für Jugendliche gestellt - und nicht beantwortet - werden? Richtet sich Tellers Roman überhaupt an Jugendliche? Die Feuilletons machen viel Lärm um "Nichts" - hoffentlich fällt die Bedeutung, die dieses Buch haben kann, nicht seinem Erfolg zum Opfer. *ag* Thomas Mayerhofer Rezension 2: Von einem Buch, das mit einer Frage endet, sollte man sich keine Antworten erwarten. Die gibt uns diese verstörende Parabel nicht. Stattdessen wirft sie Fragen auf, zuvörderst danach, was im Leben wirklich Bedeutung hat. Der Klassennihilist und Aussteiger bringt altbekannte Argumente gegen einen letzten Sinn des Daseins: Wenn alles vergänglich ist, selbst das Weltall insgesamt, was kann noch Anspruch auf Bedeutung erheben? Es geht dann weniger um diesen großen Sinn, als darum, mittels der Ungewissheit über ihn den "kleinen Sinn", den Menschen ihrem Leben beimessen, auszuhebeln. Der Nihilist selbst wird jedoch nicht in Frage gestellt. Wie kann er ob des Befundes weiterleben? Ist, den anderen ihre Sinngebungen schlecht zu reden, bedeutungslos? Er zeigt sich so als Figur im Gesamtgefüge, in dem sich die SchülerInnen befinden, die gerade dieses in Frage stellt: Vorstadt, Grundschule, höhere Schule, Beruf, ein bedeutungsvolles Leben. Der Text nimmt die Bedeutsamkeiten der Erwachsenen aufs Korn: Dass man etwas kann, jemand wird, dabei aber bloß die Rolle des bedeutsamen Menschen spielt, der andere überredet, diese Bedeutsamkeit anzuerkennen. Er verweist darauf, wie sich in der Welt die durchsetzen, die andern die eigene Bedeutung am besten verkaufen können. So gesehen, ist das eine Parabel aufs Erwachsenwerden. Sie spielt nicht zufällig an dem Punkt, an dem die Schülerinnen sich anschicken, die Vertrautheit der kleinstädtischen Gemeinschaft zu verlassen - virtuos im Übrigen die mit knappen Strichen ausgeführte Zeichnung der Charaktere der Kinder und ihrer Familiensituationen. Die Heimlichkeit der Bedeutungsanhäufung weist auf einen Protest gegen diese Welt hin, die am Ende siegt und das Projekt zum Scheitern bringt, durch Polizeimaßnahmen zuerst, durch Vereinnahmung des "Berges von Bedeutung" als "Kunst" zuletzt. Freilich ist der Handlungsstrang, in dem die Idee, "Bedeutung" anzuhäufen, immer einschneidendere Opfer verlangt, eine Geschichte über grausame Gruppendynamiken. Man könnte ihn auch als Parabel auf den Markt der Bedeutungen in der Erwachsenenwelt lesen. Um Bedeutung kaufen und verkaufen zu können, muss das, was einem (in einem kindlichen Sinn) "wirklich" etwas bedeutet, entleert, aufgegeben, geopfert werden - die Macht des Geldes ist ja die Macht der Abstraktion. Indem sie den Berg als Kunstwerk verkaufen, fügen sich die Halbwüchsigen dem, wie sie es bereits in ihrem Bemühen, Pierre Anthon zu widerlegen, von einander verlangt haben - von Anfang an Gescheiterte (man könnte meinen, sie hätten ein Übergangsritual vollzogen). Pierre sieht das, dafür muss er sterben. Man könnte diese Figur als Persönlichkeitsanteil interpretieren, der unterdrückt werden muss, um in die Erwachsenenwelt einzutreten. Am Schluss finden alle außer ihm dort ihren Platz - sogar Sofie, im Irrenhaus, als Ausgeschlossene (so vielleicht auch Pierre, am Friedhof). Als einzige, die hartnäckig an der Bedeutung festgehalten hat, bekommt sie nur als Ausgegrenzte Eintritt in die Erwachsenenwelt. Die Erzählerin aber hat Pierre Anthon nicht aus ihrem Gedächtnis verbannt. So wird am Schluss klar, dass dessen Frage nicht beantwortet ist. Diese Offenheit macht aber erst die Bedeutung aus. ---- Quelle: bn.bibliotheksnachrichten (http://www.biblio.at/literatur/bn/index.html) Autor: Maria Schmuckermair; Schreckliche Versuchsreihe einer Gruppe Dreizehnjähriger. (ab 13) (JE) "Nichts bedeutet irgendetwas" und "Das Leben ist die Mühe überhaupt nicht wert", sagt Pierre Anthon, Sohn eines Hippie-Vaters, am ersten Schultag zu seinen verdutzten MitschülerInnen. Er verlässt die Klasse und hockt ab nun im Geäst eines Pflaumenbaumes, von wo aus er mit unreifen Pflaumen nach den Kindern wirft. Nach längeren Beratungen beschließen die Klassenkollegen, Pierre Anthon den sichtbaren Beweis zu liefern, dass es etwas gibt, was Bedeutung hat. Jede und jeder aus der Klasse müsse etwas beisteuern, was ihr/ihm sehr viel bedeute, und daraus werde man in einem aufgelassenen Sägewerk einen großen "Berg aus Bedeutung" auftürmen, angesichts dessen der Nihilist seine Meinung ändern müsse. Die Sammeltätigkeit beginnt relativ harmlos mit einem gespendeten Fußball oder einem Teleskop. Ideelle Beiträge wie die Adoptionsurkunde Anna-Lis oder Dame Werners Tagebuch sind schon schwerer zu leisten. Absurd und makaber wird das Beweisführungsspiel aber, als z. B. Elise zustimmen muss, dass der Leichnam ihres kleinen Bruders aus dem Grab geholt wird, als die strikte Sofie ihre Unschuld opfern muss. Und schließlich wird Jan-Johan, dem allseits bewunderten Entertainer in der Klasse, der Mittelfinger abgehackt, damit er nicht mehr Elvis auf der Gitarre imitieren könne. Diese drastischen Aktionen und die mediale Aufmerksamkeit, die sich später dazugesellt, imponieren Pierre Anthon jedoch nicht und es kommt zu einem grausamen Showdown. In Dänemark vorerst als Schullektüre verboten, erhielt dieses stilistisch treffsichere Jugendbuch mehrere Literaturpreise. Niemand wird in Abrede stellen, dass Adoleszente über den Sinn des Lebens nachdenken (sollten). Dessen ungeachtet bleiben Bedenken, ob man Dreizehnjährigen dieses wichtige Anliegen mit einer derart absurden Geschichte, aus der sie vielleicht die falschen Schlüsse ziehen, nahebringen sollte. Ab 13 denkbar - aber nicht für psychisch labile Gemüter! ---- Quelle: STUBE (http://www.stube.at/) Pierre Anthon provoziert. - Zumindest behauptet das die Geschichte. Seit dem Tag als er auf den Pflaumenbaum stieg, bewirft er seine MitschülerInnen mit Früchten und nihilistischen Ausrufen: Alles ist egal. [] Denn alles fängt nur an, um aufzuhören. Um ihm zu beweisen, dass das Leben sehr wohl bedeutungsvoll ist, beginnen die MitschülerInnen "Gegenstände" anzusammeln und daraus einen buchstäblichen Berg der Bedeutungen zu kreieren. Doch Sinnstiftung scheint unter diesen Voraussetzungen nur noch unter radikalen Bedingungen zu funktionieren. Janne Teller provoziert und schockiert und setzt in ihrem (im original bereits vor 10 Jahren erschienenen Roman) eine kontroverse Diskussion in Gang. *STUBE*
Rezension
Personen: Engeler, Sigrid C. Teller, Janne
Teller, Janne:
Nichts : was im Leben wichtig ist ; [Roman] / Janne Teller. Aus dem Dän. von Sigrid C. Engeler. - München : Hanser, 2010. - 139 S.
ISBN 978-3-446-23596-0
Erzählungen für junge Erwachsene - Signatur: DR.J Tell - Buch