Quelle: bn.bibliotheksnachrichten (http://www.biblio.at/literatur/bn/index.html) Autor: Josefine Weninger; Eine New Yorker Jüdin begibt sich mit ihrem Vater, einem KZ-Überlebenden, auf eine schmerzliche Reise durch das heutige Polen. (DR) Ruth Rothwax ist eine Nachgeborene. Ihre Eltern, Juden aus Lodz, haben den Holocaust zwar überlebt und sich in Australien eine neue Existenz geschaffen, doch die schreckliche, unausgesprochene Vergangenheit bleibt auch für das Kind Ruth ständig präsent; sie entwickelt eine Art sechsten Sinn für die Dinge unter der Oberfläche. Nach drei gescheiterten Ehen lebt sie als erfolgreiche Geschäftsfrau in New York und hat ihr Leben scheinbar fest im Griff. Als sie sich mit ihrem Vater zu einer Spurensuche ins heutige Polen aufmacht, wird sie immer wieder mit verdecktem und offenem Antisemitismus bzw. mit Desinteresse und Geschäftemacherei konfrontiert und muss erkennen, dass nur die Wenigsten aus der Vergangenheit lernen wollen. Auf dieser Reise bricht ihr Schutzpanzer aus Disziplin und Kontrolle auf und sie bekommt vor allem durch ihren Vater endlich ein Stück ihrer tot geschwiegenen Geschichte zurück. Die Auseinandersetzung mit und um den Holocaust hat in den letzten Jahren auf beiden Seiten eine neue, differenziertere Dimension angenommen. Reale Auswirkungen zeigten sich im westlich orientierten Europa am deutlichsten in den Klagen gegen Schweizer Banken und in den Restitutionsforderungen, wodurch klar wurde, dass auch nach 1945 nur die wenigsten der Opfer zu ihrem "Recht" gekommen sind. Genau dieses Unbehagen, diese Ungerechtigkeit schildert Lily Brett atmosphärisch äußerst dicht in ihrem Roman. Am berührendsten und bezeichnendsten sind zwei Szenen aus dem Buch: eine, in der sie mit einem alten polnischen Ehepaar um das Tafelservice ihrer Großmutter und um den Mantel ihres Großvaters feilschen muss, und die andere, als sie Auschwitz als "Inszenierung des Schreckens" erlebt, in dem lustlose Führer ihren Text vor gelangweilten Schülergruppen herunterspulen und ahnungslose Touristen auf den Spuren von "Schindlers Liste" Juden-Marionetten als Souvenirs erstehen. Ein Gegenpart zur anfangs ohnmächtigen Wut Ruths ist ihr Vater Edek, der die Verhältnisse zwar glasklar analysiert, in seiner ungebrochenen Vitalität aber auch die schönen Dinge des Lebens genießt, und der im Gegensatz zu seiner Tochter in die Zukunft blickt, um diese mit liebenswerter Schläue schließlich auch für sie zu arrangieren. Die große Stärke des Romans liegt in der Unverblümtheit und Direktheit von Bretts Sprache und in der Selbstironie und Warmherzigkeit der Figuren. - Ein äußerst empfehlenswertes Buch, das einen Einblick in die jüdische Sichtweise der derzeitigen Diskussionen bieten kann. ---- Quelle: SCHRIFT/zeichen; Aus dem eigenen Leben hinausgewandert ... Mit der Erinnerung ist die eigene Vergangenheit nicht zurückzuholen. Kindern von Überlebenden des Holocausts, denen beides fehlt, muss sie wohl ein "abstraktes Gebilde nicht abreißenden Entsetzens" sein. Die in New York lebende Autorin Lily Brett hat sich in ihrem berührenden Roman in ein sensibles Terrain des eigenen Lebens zurückgetastet. Ruth Rothwax, Inhaberin eines florierenden Korrespondenzbüros in New York, ist eine emanzipierte Frau jüdischer Herkunft. Dass sie in Manhattan Gewichte hebt und ihren Alltag einer minuziösen Ordnung unterwirft, gehört ebenso zu ihrem Leben wie das Verfassen von Briefen für andere. Ruth hat ihren einundachtzigjährigen Vater Edek zu einer gemeinsamen Polenreise überreden können, zu einer Reise an Orte des Grauens, an denen er einst "aus dem eigenen Leben hinausgewandert" ist. Als Tochter von Auschwitz-Überlebenden ringt sie mit Fragmenten einer nahezu ausgelöschten Vergangenheit. Brett wartet hier mit einer ungewöhnlichen Doppelung der Perspektive auf. Entlang der Perforationen eines torsohaften Wissens um versteinerte Wunden versucht Ruth, die schmerzhafte Matrix des Gebliebenen zu finden. Dem schmutzigen Alten mit den verfaulten Zahnstummeln kauft sie das Familienporzellan ab. Auch Fotos und den Mantel ihres Großvaters. Greifbares, um ein Stück Identität zusammenzuschürfen. Ganz anders ihr humorvoller, überaus sympathisch gezeichneter Vater, der sich ohne Verbitterung oder Hass, ja voll Lebensenergie der Gegenwart stellt. Unsentimental, schonungslos und offen entwirft Brett die diffizile Spurensuche einer Nachgeborenen. Der Blick wächst über den Trauerrand hinaus und belichtet indirekt ungemein einfühlsam auch die Realität des Weiterlebens. Maria Renhardt *SZ* 1/2001
Rezension
Personen: Brett, Lily
Brett, Lily:
Zu viele Männer : Roman / Lily Brett. - Wien : Deuticke, 2001. - 655 S.
ISBN 978-3-216-30508-4
Kriminalromane - Signatur: DR.D Bret - Buch