Menasse, Robert
Don Juan de la Mancha oder die Erziehung der Lust Roman
Buch

Quelle: bn.bibliotheksnachrichten (http://www.biblio.at/literatur/bn/index.html) Autor: Renata Cornejo; Ein modernes Heldenepos der 68er-Generation. (DR) "Don Juan de la Mancha" ist eine Art modernes Heldenepos der 68er-Generation, das in Sachen Erotik und Liebe zwei uralte und wichtige Topoi der Literatur auf eine ironische und witzige Weise verbindet: die erotische Ebene - verkörpert durch Don Juan - und die Vergeblichkeit des menschlichen Tuns - verkörpert durch den gegen die Windmühlen kämpfenden Ritter Don Quixote. "Man kann nur mit der ersten oder mit der letzten Frau glücklich werden", lautet die Lebensweisheit, die der Vater an seinen Sohn Nathan, den tragikomischen und melancholischen Romanhelden, weitergibt. Nathan ist das Kind seiner Zeit, das die Männlichkeit zwar ausleben, aber nicht mehr genießen darf. Unterhaltsam und pointiert zeichnet Menasse das Portrait unserer Gesellschaft und Epoche, in der ohne Erotik kaum eine Werbung noch denkbar ist. Im Gewand eines ungewöhnlichen Bildungsromans schildert er die wilden 68er Jahre und die "freie Liebe" der Studenten, den verklemmten Sex in der Kreisky-Ära, die "natürliche" Körperhingabe der Öko-Fans sowie die erotischen Erfahrungen und Fragestellungen der Emanzipationsära. Hat die Frau mehr vom Sex als der Mann? "Robert Menasse lässt seinen Helden reifen und schmackhaft alt werden, ohne dass er dabei alt aussieht", meint Helmuth Schönauer in seiner Rezension, und dem kann man nur zustimmen. Allen Bibliotheken mit Nachdruck zu empfehlen. ---- Quelle: Literatur und Kritik; Autor: Klaus Zeyringer; Poesie des Konters - Ressort "Leben" D er Vater war "Gesellschaftsreporter" und genoss seinen Erfolg bei den Frauen, Mutters Männergeschichten endeten unglücklich bis letal. Der Sohn, der in der komplexen Familienkonstellation frühzeitig auf Sprachfassaden aufmerksam wird, leitet in der Zeitung das Ressort "Leben" und verspürt seine fortschreitende Unlust. Diesem Ich-Erzähler, dessen berufliche Position vom Vater her eine Medienpose der Uneigentlichkeit bezeichnet, gibt Robert Menasse das Wort in seinem anspielungsreichen, hintergründigen Roman Don Juan de la Mancha. Der Stil entspricht diesem Ich, dem etwa fünfzigjährigen Nathan, der seine Geschichte, seine Zustände, seine Weltbeobachtungen für die Psychotherapeutin Dr. Hannah Singer, den "Inbegriff einer jüdischen Mamme", aufschreibt - nicht ohne die bei jedem Erzählen wesentlichen Fragen zu stellen. Wer spricht hier? Von welchem Standpunkt aus? Mit welchen Ansprüchen an Wirklichkeiten und Wahrheiten? Mittels welcher Anordnungen? Erzählen heißt ja "einen Bogen spannen, wo zunächst keiner ist" (Daniel Kehlmann). Die Geliebte Christa, eine Dozentin für alte Sprachen, meint in einer zentralen Stelle der Reflexion über die Romanerzählung selbst, dass alle Schilderungen etwas über denjenigen aussagen, der sie vorbringt: "ich stelle mir vor", relativiert sie und verweist damit auf ihre Einbildung von der Abbildung, "dass Therapeuten das so sehen: Du bist, was du erzählst." Ja und nein, antwortet Nathan. Es ist ein konzentrierter Ausspruch der Poesie des Konters, mit der Menasse vielfältig sein Romannetz durchwebt; er bedeutet die Angemessenheit des Duktus und zugleich die Widerrede dagegen. Ob er sie liebe, ob er sie begehre, fragt Christa sodann nach Gefühl, nach Lust. Die Antwort gibt sich diesmal eindeutig, "ja"; der Konter kommt auf die narrative Strategie zurück: "Du bist ein Lügner. Du sagst das nur, weil es in deine Geschichte passt." "In der Gesellschaft", hatte der Vater erklärt und vordergründig jenes Zeitungsressort gemeint, das "Leben" nur Promis zuspricht, gebe es keine Wahrheit. Vom Vater erhält Nathan zweimal drei Lebensregeln - man könne nur mit der ersten oder mit der letzten Frau glücklich werden, lautet eine - und den Job, von der Mutter eine fürsorgliche Abnabelung. In der Gegenwart erfährt er von Christa ungewöhnliche Lustbemühungen, von seiner Frau, der Managerin Beate, die gemanagte Unlust, und für die Therapie die Rückblicke: das Studium und die Gründung einer autoritären antiautoritären Gruppe, die Zeitgeistschübe und Beziehungswechselbäder bis zur mühsamen ersten Ehe, die im Sauseschritt dargelegten Etappen der zweiten, dann die versuchte Reise in die Vergangenheit zu einer Alice, deren Wunderland für ihn allerdings das Paris der brennenden Autos und der Kämpfe in den Vororten ist. Schließlich der Rauswurf aus dem Ressort "Leben", für das er zuletzt nur eine Persiflage auf die Haubenkochmanie, das aufgemotzte Rezept eines Schnittlauchbrotes, zustande bringt - eine gewitzte tragikomische Probe am Exempel. Die vertrackte Situation des Fünfzigjährigen erscheint als Ergebnis der Lebensgefühlturnerei einer Generation, die an der Klischeehaftigkeit der Welt zu leiden meint, während sie sich Fragen über das Glück, das Altern und die Lust stellt. "Es war gutgegangen. Es ging mir schlecht", lautet einer der Kernsätze. Robert Menasse hat für seinen Don Juan de la Mancha oder Die Erziehung der Lust das Geflecht eines tiefgreifenden Generationenromans geschaffen, dessen Komplexität er nicht groß ausstellt. Zwar ist auch der Duktus vielschichtig angelegt, aber eben doch von Anfang an jener von Nathan aus der Schreibperspektive des Ressorts "Leben". Umso mehr verwundert es, dass diese sowohl ausgewiesene als auch im Roman reflektierte Figurenrede von einigen Kritikern nicht als solche verstanden und gleich anhand des ersten Satzes abgetan wurde. Indem der Untertitel Flaubert variiert, bezieht er sich auf dessen Anspruch, ein Prosawerk müsse als Sprachkunst so genau gearbeitet sein wie eine lyrische Dichtung. Der Titel Don Juan de la Mancha gibt eine Vermischung zweier Figurenmodelle der Weltliteratur an, die eine heutige Existenz auf einen narrativen Punkt bringt und somit das männliche Lebensgefühl einer Generation zu konzentrieren bestrebt ist. Er rede von den zeitgenössischen Voraussetzungen für Literatur, sagte Menasse 2005 in seinen Frankfurter Poetikvorlesungen Die Zerstörung der Welt als Wille und Vorstellung, denn "irgendwann wird sie, wie immer, nicht mehr anders gelesen werden können als dahin gehend, ob sie zu erzählen und darzustellen verstand, was vorging, scheinbar und unscheinbar". Menasse ist eine Form geglückt, die an eine aktuelle Weiterführung von Milan Kunderas Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins gemahnt, und so setzt er ein: "Die Schönheit und Weisheit des Zölibats verstand ich zum ersten Mal, als Christa Chili-Schoten zwischen den Händen zerrieb, mich danach masturbierte und schließlich wünschte, dass ich sie - um es mit ihren Worten zu sagen - in den Arsch ficke." Am Beginn des Bildungsromans einer Nach-68er-Generation stehen klassische Zugänge zu einem Lebens-Sinn-Weg, und zwar in der sowohl für ein Sprachkunstwerk als auch für den Ich-Erzähler bezeichnenden Reihenfolge: Ästhetik und Philosophie und Spiritualität (diese als andere, streng genormte Lebensweise), eine erstmalige Erkenntnis, das Erzählsignal "als" - in Musils Mann ohne Eigenschaften denkt Ulrich auf einem Heimweg über einen narrativ möglichen Weltzusammenhalt: wohl dem, der sagen könne "als", "ehe" und "nachdem". Dem Wort des zeitlichen Ordnungsbogens folgt bei Menasse die Geliebte, deren Name ebenso stark konnotiert ist wie jener von Nathan, seiner Frau Beate, seiner Therapeutin Hannah Singer und zudem mit dem Namen des fremden Gewächses eine Klangeinheit bildet - und in der gewünschten Lust-Handlung steht "ich" direkt neben "sie". Mit ihrer Handgreiflichkeit und teils in Christas Ausdruck kommt der Roman zu einem seiner Hauptthemen, Sex und Begehren und Sprachform. Diese ist im zweiten Satz mit einem antiken Vorbild verknüpft, wie es am Schluss dann ausgespielt wird. "Es gebe dafür, also für die Kombination von Chili und Analverkehr", erläutert die Dozentin für alte Sprachen, "im Altgriechischen ein eigenes Verbum." "In Wahrheit" - so der schon im nächsten Nebensatzeinschub sein "Wahrheit"-Wort korrigierende Erzähler - habe sie präzisiert, sei von Meerrettich die Rede: "Recte Meerrettich." So beginnt Don Juan de la Mancha als Prosa der Anspielung sowie der Widerrede, zu der auch der Kalauer als Sprachkonter beiträgt. "Du mit deinen Kalauern!", sagt Christa, bevor sie zu ihrer Vorlesung eilt. Die Themen Erzählbarkeit, Standpunkt, Gegen-Sätze zieht Menasse durch den ganzen Roman, er variiert sie in den kleinen wie in den größeren Strukturen und Zusammenhängen. Nicht zuletzt damit schafft er seinen ironischen Ton, der auf Existenzielles zielt. "Niemand", behauptet Nathan, "litt mehr unter der Klischeehaftigkeit der Welt als ich. Und da brachte sie mir Glück. Beziehungsweise Pech." Die Ironie steckt im Detail. "Niemand litt mehr als ich" vergleicht - in dieser Weise - Unvergleichbares und ist selbst Ausdruck einer sprachlichen Klischeehaftigkeit, in der sich eine Spießbürgerlichkeit äußern kann. Und der Konter: "Ist es nicht ein Kleinbürgersyndrom zu glauben, dass alles irgendwie exemplarisch ist, was man ist und wie man ist und warum man so ist?" Kapitel 10 und 11 beginnen mit "Mein Vater war", "Mein Vater hatte", das dreizehnte hingegen: "Mein Vater ist völlig unwichtig." Und nachdem über zweihundert Seiten ein Ich voller Probleme und Unlust berichtet hat, heißt es im sieben Zeilen langen Kapitel 70: "Meine Frau ist mit dem Flugzeug abgestürzt." Die Therapeutin fragt nach, was denn Nathan da für Lügengeschichte erzähle, dieser sagt "Ja, erzählen", und der erste Satz von Kapitel 71 lautet aus der Er-Perspektive: "Man muss sich Nathan als einen glücklichen Mann vorstellen." Es ist eine Erzählweise der Abweichungen und Umwege, der umgeleiteten Exkurse, die dennoch die Spannung des narrativen Bogens hält. Die alten Erzählungen erscheinen in heutiger Form, vom Ursprung des europäischen Romans über Lessing bis zu Hugo Bettauer und Doderer führen die Anspielungen. Nathan lernt erste Sätze der Bücher auswendig, die er im "Marxerkeller", seiner Studentenwohnung im dritten Wiener Gemeindebezirk, besitzt. Sein Favorit ist der Anfang von Robert Walsers Räuberroman: "Edith liebte ihn. Hievon nachher mehr." Der Ausdruck geht nach ein paar Kapiteln in Nathans Duktus ein, als er von der unbefriedigenden ersten Ehe berichtet: "Ich wollte Erlösung, dieser Begriff war plötzlich in meinem Kopf. Davon später mehr." Und wieder dreißig Seiten weiter besteht Kapitel 29 nur aus: "Exkurs zur Erlösung: Keine Ahnung." Die symbolträchtigen Kaffeehäferl mit den Aufschriften "Ich" und "Du" - eine Motivverschränkung wie etwa auch die Netzstrümpfe - können Positionen und Zuweisungen von Selbstverständnissen andeuten oder deren Andeutung ironisieren: Vater ist "Ich", Nathan ist "Du"; später ist Nathan "Ich", seine Geliebte "Du"; die Horoskopschreiberin der Zeitung erklärt, Nathan werde immer zugleich der andere sein, der mit dem "Du"-Häferl, "der, während er Ich sagt, auf einen anderen blickt, der das Ich-Häferl hat". Entsprechend, und das ist nun der Eingriff des Erzählers über Nathan, lässt Robert Menasse einige Male die Ich-Erzählung in eine Er-Erzählung wechseln. Ein Bildungsroman aus der Ich-Perspektive behauptet, der Erzähler sei das, was er erzählt. Ja und nein, antwortet Menasse. Die Education sentimentale erweist sich für diese Generation von Männern, in einer heutigen Gesellschaft, als Versuch einer Erziehung der Lust, nicht der Gefühle, und in einem Rückgriff auf literarische Vorbilder, die ironisch gemischt werden, als männlicher Kampf gegen die Lustmühlen. ---- Quelle: Literatur und Kritik; Autor: Gerhard Moser; Belanglose Erregung, erigierte Belanglosigkeit Viel Wasser ist inzwischen die Donau hinab geflossen; viele letscherte Pfefferoni sind seitdem auf pappige Pizzen geknallt worden, und so manches fade Gericht ist seither mit einer Prise Chili "aufgepeppt" worden - seit diesem sogenannten "Jahrhundertherbst" der österreichischen Literatur, der im vergangenen Jahr eine für österreichische Verhältnisse stattliche Anzahl von Neuerscheinungen auf den Buchmarkt gebracht und eine für dieselben Verhältnisse typische Melange von Inszenierungen, Intrigen und Illusionen, also eine sogenannte "Literaturdebatte", hervorgebracht hat. Keine Sorge, hier soll diese "Debatte" weder referiert noch kommentiert werden, aber den Anfang und eventuell das End' von dieser G'schicht, könnte man schon kurz erzählen. Zu Beginn war die (vormals "Neue Freie") "Presse", in der schon Anfang August 2007 mit der Schlagzeile "Wenn's Abend wird im Männerland", Untertitel: "Menasse, Köhlmeier und Co.: So von Österreich dominiert war der deutsche Buchherbst lange nicht" die Saison eröffnet wurde. Neben mehr oder minder originellen Zwischentiteln, wie: "Don Menasse de la Mancha" und "Die Invasion der Chilischote", bleibt von diesem österreichisch-deutschen "Presse"-Traktat mit Sicherheit jener eine Satz, der da lautet: "Überhaupt hat man das Gefühl, als hätte jemand gratis Viagra an Österreichs Autoren verteilt." Und am Schluss von alldem, von "Jahrhundertherbst" und "Literaturdebatte", könnte wieder ein Satz stehen; jener eine, vielzitierte, vom Autor selbst inzwischen wohl schon hundertmal von Weitra bis Neckarsulm und zurück deklamierte erste Satz des Romans mit dem minder originellen Titel "Don Juan de la Mancha", der da lautet: "Die Schönheit und Weisheit des Zölibats verstand ich zum ersten Mal, als Christa Chili-Schoten zwischen den Händen zerrieb, mich danach masturbierte und schließlich wünschte, dass ich sie - um es mit ihren Worten zu sagen - in den Arsch ficke." Das "Abendland" wird schon lange untergegangen sein, das "Alphabet der Zeit" wird niemand mehr entschlüsseln können, aber von diesem ersten Satz werden sie alle noch reden: so einen Romanauftakt hat es noch nie gegeben, so ein "Opener" ist wahrlich nicht mehr zu "toppen". Bleiben wird dieser "erste Satz" mit seinen kulinarisch-sexuellen Konnotationen noch aus einem anderen Grund: als Synonym für eine (literarische) Mogelpackung, wie sie die kreativsten Köpfe der im freien Wettbewerb der Zügellosigkeiten sich niederringenden Werbefirmen nicht besser hätten hinbringen können. Denn, was danach auf gut 270 Seiten plus einem (authentischen) Wald-und-Wiesen-Hippie-Foto aus dem Menasseschen Privatalbum kommt, ist nur noch Zugabe, Beilage, Garnitur. Auch die Schlusstravestie vermag daran nichts mehr zu ändern: "Ich in Minirock und Strümpfen. Vor mir Chris im Anzug. Offene Hose, Meerrettich. Ich in Rock und Strümpfen. Flatternden Wimpern. Vor mir Chris mit erigiertem Meerrettich. Ich. Du." Ich Tarzan, Du Jane. Und wer, bitte, sagt zum Kren, zur Krenwurzen, "Meerrettich" - mit Ausnahme der Lektoren im Hause Suhrkamp? Denken wir positiv, nehmen wir das betriebswirtschaftlich beliebte "best-case-Szenario" an: Robert Menasse, ein blitzgescheiter Essayist und begnadeter Wortkünstler, wollte eine Satire schreiben. Eine Satire auf das Genre der Altmännerprosa - von Philip Roth bis Martin Walser -, verpackt in einen modernen Schelmenroman. Nehmen wir nicht an, sondern gehen wir aus vom Grundkonsens der Literatur und ihrer Kritik: der Ich-Erzähler ist nicht der Autor, nie und nimmer. Jener Journalist Nathan, Ressort: "Leben", nach Nathans "Outplacement" (altdeutsch: Kündigung) in "Lifestyle" umbenannt, ist eine Kunstfigur, an deren Verwicklungen und Verstrickungen etwas zu zeigen ist. Aber was? "Die Erziehung der Lust", wie der Untertitel des Romans lautet? "Die Geschichte der Liebe" als "eine Geschichte von Freiheitskämpfen", wie es plakativ am Buchrücken steht? Dass man nur das sein kann, was man (von sich) erzählt, wie es einmal mittendrin zwischen Therapiestunde und Stundenhotel heißt? Dass Frauen beim Sex mehr Lust empfinden als Männer oder doch andersrum? Ja, auch diese post-pubertäre Frage stellt sich der Erzähler, bevor ihn dann in seinem Landhaus Kündigungsschock und Depression in der mit Fruchtwasser, Marke "Bellamnion", gefüllten Badewanne, Marke "Crystal-Plus" ("und nicht Uterus-Forte"), niederstrecken. So ließe sich noch lange weiterfragen und weitersuchen nach dem Exemplarischen in dieser Geschichte eines Ritters von der traurigen Gestalt, dem die Rüstung an allen Ecken und Enden zwickt. Finden aber wird man nichts anderes als ein flottes Sammelsurium von Kalauern, Scherzen und Anekdoten, garniert mit Stereotypen und Klischees aus dem Studentenleben und der journalistischen Arbeitswelt, verfeinert mit Histörchen aus der Familienchronik. Es ist dieser Zwang zum kurzlebigen Witz, zur feuilletonistischen Pointe, der Menasse nicht nur als Erzähler Schiffbruch erleiden lässt, sondern der ihn auch schon als Essayisten in so manche Havarie getrieben hat. So geschehen auch bei den "Frankfurter Poetikvorlesungen", gehalten 2005, veröffentlicht 2006, wo unter dem Titel "Die Zerstörung der Welt als Wille und Vorstellung" viel Kluges über Globalisierung und Neoliberalismus, weniger Originelles über "9-11", Terror und Repression, und über die Poetik selbst - bis auf Floskeln und Appelle - nichts von Belang zu erfahren war. Stattdessen das bekannte Spiel der Reduktion von Dialektik auf rhetorische Phrasen: vom Individuellen und Universellen über das Ganze und Zerrissene bis hin zum öden "Bonmot", dass aus den Ketten der Proletarier vergoldete Pfandhausketterln geworden wären. Zwischendurch wird dann ganz salopp der Unterschied zwischen Presse und Poesie erklärt: "Die Journalisten müssen das Zeitgeistige bringen, die Dichter wollen es umbringen." D'accord! Nimmt man diesen Anspruch aber ernst, dann ist der "Don Juan de la Mancha" als literarisches Selbstmordkommando zu verstehen. Die Sphäre des Zeitgeistigen und des Klischeehaften wird in diesem Roman nämlich nie verlassen oder gar aufgesprengt. Das gilt für Held und Autor gleichermaßen, oder - altmodisch formuliert - da decken sich Form und Inhalt. War da sonst noch was? Nein, aber es hätte was sein können. Etwa die Geschichte der für "68" knapp zu spät Gekommenen; des in Kommunen, Wohngemeinschaften, Arbeitskreisen und "K-Gruppen" sozialisierten "akademischen Proletariats", dem die Erzählfigur und wohl auch ihr Erfinder angehört hat. Wie Robert Menasse hier mit dieser Historie umgeht - kokettiert wäre vielleicht das bessere Wort -, das erinnert einen unweigerlich an jenen einen Satz, den der Berliner Kommunarde Dieter Kunzelmann irgendwann um 1968 von sich gegeben haben soll: "Was kümmert mich der Viet nam-Krieg, wenn ich Orgasmusprobleme habe?" Doch zurück an die Donau und ihre hinabfließenden Wasser. Viel Geistreiches und ebensoviel Aufschlussreiches ist seit dem vergangenen Herbst, dem "Jahrhundertherbst", auch über den "Don Juan de la Mancha" gesagt und geschrieben worden. Immerhin handelt es sich ja um einen Bestseller, zumindest hier in Österreich. Eben diesen Österreich-Bezug hat aber unlängst Sigrid Löffler dem Roman abgesprochen: der könne genauso gut in Bielefeld wie in Wien spielen, hat sie gemeint. Ob das als Lob oder Tadel zu verstehen ist, sei hier dahin gestellt. Substanzielles über Lusterziehung und Frauenbilder hat Karin Fleischanderl in der Wiener Literaturzeitschrift "kolik" geäußert - tatsächlich ist die Körperlichkeit in Menasses Schelmenroman eher eine ekelnde als eine erregende. Bleiben noch die Elogen. Eine lieferte Klaus Zeyringer für den "Standard" ab: Von einem "Sprachkunstwerk ersten Ranges", einer "Kreuzung von Flaubert und Kundera im heutigen Stilgewand" ist da zu lesen. Als wäre damit nicht schon mehr als genug getan, werden auch noch Lessing, Doderer und schließlich Hugo Bettauer in die Pflicht genommen. (Letzterer, jener heute weithin unbekannte, von einem Nazi erschossene Romancier der Zwischenkriegszeit, ist der Namensgeber für die Studentengruppe um Menasses Erzählfigur Nathan. Das scheint für einen "intertextuellen Verweis" schon auszureichen). In der "Zeit" schließlich trifft Jochen Jung, betont leger und daher mühelos, den (Daumen-)Nagel auf den Kopf, wenn er von einem der "unterhaltsamsten Unterhaltungsromane der letzten Jahre" schreibt. Da bleiben wir doch lieber beim Wettbewerb der Szenarien, korrigieren "best case" nicht gleich auf "worst case" (wer weiß, vielleicht brauchen wir das noch für die nächste "Jahrhundertsaison"?), aber doch auf "bad case" und lassen zu guter letzt jenen Mann zu Wort kommen, dem das Denken in Szenarien und Schlachtplänen sein täglich Brot ist und dem man überdies eine "Eselsgeduld" nachsagt: Josef Hickersberger, österreichischer Fußballnationalmannschaftstrainer, hat in der "Presse" - ja, da wo es eingangs "Abend im Männerland" wurde - auf die Frage "Was lesen Sie denn?" klipp und klar geantwortet: "Ich lese gerade Don Juan de la Mancha von Robert Menasse, aber das zieht sich ein wenig." Die großen Wahrheiten, die stehen nun mal nicht im Feuilleton. ---- Quelle: Pool Feuilleton; Die wichtigsten Erlebnisse eines durchschnittlichen Menschenlebens sind seit erdenklichen Zeiten die reife Erotik und die edle Sinnlosigkeit. Für die Erotik ist Don Juan zuständig und für den Ritt in die Turbine einer Windmühle Don Quixote de la Mancha. Robert Menasse hat für sein Heldenepos eines Beinahe-68ers die beiden Dons elegant zusammengemischt. Im Mittelpunkt dieser modernen Durchschnittsbiographie steht Nathan, der in einem Hochglanzmedium für die allgemeingültige Sparte "Leben" zuständig ist. Schon von der ersten Seite an ist Nathan an der Sexualität gereift, er erwartet sich nichts mehr und erklärt sich selbst und den Lesern recht süffisant, wie das so zwischen Männern und Frauen funktioniert. Anhand der Erotik kommen die diversen Zeitgeistschichten zutage. Das wilde Vögeln der Studenten, der verklemmte Ministrantensex in der Kreisky-Ära, die schöpfungswilde Naturhingabe durch die Ökos und die edelverbrämte Emanzipationsschickeria ziehen episodenhaft am Helden vorbei, der immer wieder zu einem Exkurs ansetzt, diesen aber selten mit seinem eigenen Leben in Verbindung bringen kann. Oft genügt schon die Ankündigung eines Exkurses, um die Lage restlos zu klären. Der Held geht alle seine Stationen seiner Liebschaften durch, die entscheidende Frage ist immer, ob die Lust größer ist als der durchgeführte Sex. Auch sonst kommen allerhand alltagsphilosophische Probleme zur Sprache, die im Laufe einer erotischen Saison anfallen. Hat die Frau nun mehr vom Sex als der Mann? - Und auch die Lösungen in Gestalt witziger Gespräche sind nicht ohne, man nehme den Finger in einer Faust und drücke beides zusammen, was schmerzt mehr, überlegt eine liebeserfahrene Protagonistin. Wie man ein Magazin durchblättert, halb gelangweilt, halb aus Mangel an Alternativen, blättert Nathan sein Leben auf und durch. Dabei gibt es Stellen voller Melancholie, etwa wenn sich der junge Student in einer Kellerwohnung einquartiert und von unten aus die Stadt mit ihren eiligen Wadeln beobachtet, es gibt diese Sequenzen aus Vorabendserien, wo einfach einmal geheiratet wird, damit etwas weiß in den Kostümwald kommt, und gegen Ende beschäftigt sich ein Kapitel nur mit dem mechanischen Ablauf einer Beziehung, erstes Jahr bis letztes Jahr, die Mechanisierung des Verhältnisses läuft dabei wie geschmiert. Don Juan de la Mancha entwickelt sich während des Romans zu einem abgeklärten Sexualanwender, den nichts mehr erschüttert. Robert Menasse lässt seinen Helden reifen und schmackhaft alt werden, ohne dass er dabei alt aussieht. Kontemplation auf Hochglanz, völlige Gelassenheit und Selbstironie, Erotik in schön austarierten Wellenschlägen, so schauen Helden der Gegenwart aus. Helmuth Schönauer ---- Quelle: Stifterhaus (http://www.stifter-haus.at/) Autor: Christian Pichler; Zurück in Mamas Bauch In fast jeder Rezension von Robert Menasses neuem Roman wird aus dem ersten Absatz zitiert. Bringen wir´s also gleich zur Gänze hinter uns: "Die Schönheit und Weisheit des Zölibats verstand ich zum ersten Mal, als Christa Chili-Schoten zwischen den Händen zerrieb, mich danach masturbierte und schließlich wünschte, dass ich sie - um es mit ihren Worten zu sagen - in den Arsch ficke. Es gebe dafür, also für die Kombination von Chili und Analverkehr, im Altgriechischen ein eigenes Verbum, sagte sie. In Wahrheit nicht für Analverkehr mit Chili, sondern mit Meerrettich, sie sagte: "Recte Meerrettich", jedenfalls im Grunde für diese Technik. Sie sagte das altgriechische Verbum, sie schrie es, ich schrie auch, und wenn das, was ich schrie, ein Wort war, dann war es älter als Altgriechisch. Ich hatte Wasser in den Augen. Ich glaube nicht, dass ich in einem brennenden Haus größere Panik empfunden hätte." Das ist die eine Stelle. Die zweite, oftmals zitierte, folgt zwei Seiten später: "Karrieristen sind auf Kurs, Liebende auf Exkurs." Dieses Zitat ist einer jener "Kalauer", die Menasse seinem Ich-Erzähler Nathan in "Don Juan de la Mancha" in den Mund legt. Diese "Kalauer" nerven, weil sie offensichtlich zeigen sollen, dass Nathan (und wohl der Autor auch) zu jeder Situation eine witzige und intelligente Bemerkung parat hat. Die Rezensenten tun diesem Roman Unrecht, wenn sie besagte, gewollt und gekünstelt wirkende Stellen zitieren. Denn schon bald läuft Menasse zu großer Form auf, erzeugt einen mitreißenden Erzählfluss, nähert sich tatsächlich mit seinem spielerischen Wechsel zwischen den Zeitebenen und eingestreuten "Exkursen" der erzählerischen Leichtigkeit etwa eines Milan Kundera. Nathan also, Sohn eines für ihn unnahbaren Lebemannes, der bald die Mutter verlässt. Bis er siebzehn Jahre alt ist, schläft Nathan im Ehebett der Mutter, gerade in der Stadt von Sigmund Freud kann das zu keinem entspannten Verhältnis zu Frauen führen. Als Publizistikstudent in Wien verschlägt es Nathan auf die politisch linke Seite, mitten in den politisch aufgeladenen 1970ern stellt er sich ernsthaft die Frage, ob er denn sexuelle Lust empfinden dürfe, ehe nicht die Welt gerettet sei. Nach einer überhasteten Eheschließung samt baldiger Scheidung trifft Nathan auf seine erste große Liebe, auf Alice. An ihr erfährt Nathan auch das Auseinanderklaffen von Theorie und Praxis der sexuellen Lust: Wie sehr hat Nathan die Alice bewundert, die auf der Uni mutig gegen einen autoritären Professor protestiert hat. Mit ihr möchte er schlafen. Doch die Alice in Nathans Bett ist eine ganz andere, zumal sie ihn, auf ihrer feministischen Überzeugung beharrend, nicht eindringen lässt: Mann und Frau sollten sich nicht auf Becken-, sondern auf Augenhöhe begegnen. Nach dem Studienabbruch folgt, unterstützt vom Vater, der sich damit mehr seiner Verantwortung für den Sohn entledigen will, der Eintritt in die Welt des Journalismus. Dreißig Jahre später, wir sind in der Gegenwart gelandet, hat sich Nathan zum Chef des Ressorts "Leben" hochgedient. Die Zeiten haben sich geändert, aus "Leben" wird "LifeStyle", das ist nicht mehr Nathans Welt. Menasse bringt schöne Seitenhiebe gegen das Geschäft der Journaille an, etwa: "Manchmal redigiere ich Artikel. Dabei muss ich allerdings äußerst vorsichtig sein. Denn jeder Versuch, aus schlechtem Deutsch etwas weniger schlechtes Deutsch zu machen, oder gar aus einer Phrase einen Satz, löst bei den Mitarbeitern Aggressionen aus: Sie halten gutes Deutsch für schlechten Journalismus." Nathan nützt die Gelegenheit einer Dienstreise, nach Jahrzehnten in Paris Alice wiederzusehen. Doch er gerät mitten in die Pariser Vorort-Randale, kann nicht zu Alice durchdringen und fliegt gedemütigt nach Wien zurück. Dort der nächste Schlag ins Gesicht, seine Entlassung. Nathan zieht sich zurück, in die Badewanne. Dort heißt sein Glück Bellamnion. Zwei Löffel davon in die Wanne, das Wasser 36,5 Grad, und er schwebt zurück in Mamas Fruchtwasser. Regression rules. Ein melancholisches Ende, möchte man einen. Oder vielleicht doch ganz einfach der Lauf der Dinge. Menasse weiß ungemein kurzweilig, intelligent, ja auch witzig zu erzählen. Einzig der unangenehme Eindruck bleibt, er hätte hier noch viel mehr zu erzählen gewusst. An Komplexität kann dieser "Don Juan" daher nicht mit dem Vorgänger "Die Vertreibung aus der Hölle" mithalten, Lesevergnügen ist dennoch garantiert.


Rezension


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Personen: Menasse, Robert

Menasse, Robert:
Don Juan de la Mancha oder die Erziehung der Lust : Roman / Robert Menasse. - Frankfurt a. M. : Suhrkamp, 2007. - 273 S.
ISBN 978-3-518-41910-6

Zugangsnummer: 6147
Belletristik allgemein - Signatur: D0 Men - Buch