Rüdisser, Doris
Fuchsgesicht Erzählung
Buch

Quelle: bn.bibliotheksnachrichten (http://www.biblio.at/literatur/bn/index.html); Autor: Claudia Stockmaier; Eine beklemmende Kriminalgeschichte aus dem 19. Jahrhundert. (DR) Im Winter 1890/91 sorgt ein Mord im Bregenzerwald für Aufregung. Der Tagelöhner Peter Paul Adametz erwürgt, angestiftet von zwei Frauen, den Bauern Michael Mälzer. Alle drei werden zum Tod verurteilt, die Frauen werden vom Kaiser begnadigt, Peter Paul Adametz stirbt durch den Strang. Doris Rüdisser greift 100 Jahre danach den historisch belegten Fall auf und versucht, in ihrer Erzählung die Gründe, die zur Tat führten, zu hinterfragen. Mit viel Gespür und Einfühlungsvermögen forscht sie nach den Lebensumständen, sondiert das Umfeld der einfachen Leute des vorigen Jahrhunderts, sucht nach Motiven. Da ist Peter Paul, der schizophrene, verlachte Dorftrottel, der als Kind im Mist eine Fuchsmaske findet und sie in langen Winternächten über das Gesicht zieht, um Frauen und Kinder zu erschrecken. Für kurze Zeit kann so der Gejagte zum Jäger werden. Die junge Ann Kathrin, ebenso arm und ausgegrenzt wie er, findet in ihm einen willigen Liebhaber und Verbündeten. Gedemütigt von ihrem Bräutigam Mälzer, der ihr die Ehe versprach und ihre Schwester heiratete, plant sie mit ihrer Vertrauten Anna Katharina Gerber einen Rachemord. Peter Paul führt die Tat aus. Es sind die Frauen, die Doris Rüdisser der Reihe nach zu Wort kommen lässt. Die Mutter, die von der freudlosen Jugend ihres Sohnes erzählt, Ann Kathrin, die am Totenbett um Verständnis und Vergebung bittet, und schließlich die Witwe Gerber, die recht- und besitzlos zur Helferin geworden, ihre Gedanken einem Tagebuch anvertraut. Mit einer bildhaften, dialektgefärbten Sprache schafft die Autorin eine beklemmend finstere Atmosphäre. Es wird nachvollziehbar, wie Gewalt entsteht und Menschen zu Mördern werden. Eine geschickt konstruierte, lesenswerte Erzählung. ---- Quelle: Literatur und Kritik; Autor: Evelyne Polt-Heinzl; Geschichte von einst, Denkmuster von heute Doris Rüdissers Roman "Fuchsgesicht" Ein Mordfall aus dem Jahr 1891 in Schwarzenberg, Vorarlberg: Ein Mörder und zwei Anstifterinnen dazu. 120 Jahre später bastelt die 1956 in Hohenems geborene Doris Rüdisser drei Lebensgeschichten daraus, ausgestattet mit der ganzen Palette des psychologischen Wissens unserer posttherapeutischen Zeit. Das ist vor allem dann ein schwieriges Unterfangen, wenn die Erzählung über weite Teile auf direkte Figurenrede setzt: Maria Adametz, die Mutter des Mörders, erinnert sich, seine ehemalige Geliebte, die Kleinhäuslerstochter Annkathrin, legt am Totenbett eine Lebensbeichte ab, die zweite Anstifterin, die Armenwitwe Anna Katharina Greber, schreibt ihre gar selbst nieder, mit Bleistift in drei Schulhefte. Da geraten die Zeiten, Lebensvorstellungen und -entwürfe ordentlich durcheinander. Ein wenig folgt Doris Rüdisser Robert Schneiders Erfolgsrezept für historische Armutsbilder aus Vorarlberg in "Schlafes Bruder" - das Glossar mit veralteten regionalen Mundartausdrücken ist lang; auch wenn Rüdisser sie sparsamer verwendet, fallen sie stärker aus dem heutigen Duktus des Textes heraus, denn auf eine künstliche Historisierung der Sprache verzichtet die Autorin. Diese Unstimmigkeit weckt auch das Misstrauen auf Faktenebene. Wenn die Geburtshelferin Maria Adametz, deren Mann als Wanderhändler und Messerschleifer den kargen Lebensunterhalt verdient, 1891 mit der zwanzig Jahre zuvor eröffneten Arlbergbahn zum zweiten Mal in die Strafanstalt nach Schwaz in Tirol fährt, ist ihr alles vertraut: die Technik, die Orte, die Bahnwärterhäuser. Das wird mit ihrer Sammlung abgegriffener "Postkarten-Fotografien" begründet, die sie in einer Kiste verwahrt. Doch die Postkarte wurde in Österreich erst 1870 eingeführt, und der große Boom, als jede noch so kleine Gemeinde wie heute eine Homepage damals eine Ansichtskarte anfertigen ließ, setzte erst gegen Ende des Jahrhunderts ein, als die Drucktechnik billiger wurde und wandernde Fotografen auch allen kleinen Gemeinden, wie sie entlang der Arlbergbahn aufgereiht sind, ihre Dienste anboten. Dass eine Vorarlberger Kleinhäuslerstochter und Tagelöhnerin wie die Witwe Grebler, geboren 1823 zu Egg, als Kind den Berufswunsch "Secretärin" hat, wird auch durch die antiquierte Schreibweise nicht glaubwürdiger. Man kann das Buch natürlich auch ohne historische Fragestellungen lesen und einfach hinnehmen, dass in einer kleinen Keusche um 1890 eine ordentliche Stiege in die Dachkammer führt und die Fahrende Maria Adametz Andersens Märchen parat hat. Dann entsteht das Bild von drei Frauen aus ärmlichen ländlichen Verhältnissen, auf ihre Art zurückgesetzt und vom Leben betrogen ist jede von ihnen. Es sind harte Kindheiten, mit früh verstorbenen Müttern, brutalen Vätern, früher Ausbeutung als Arbeitskraft, wenig Freude und Lustbarkeit, der gehässigen Sozialkontrolle des Dorftratschs und illegitimen Schwangerschaften. Tief unglücklich ist auch Peter Paul Adametz, der seine psychopathischen oder epileptischen Anfälle mit einer stinkenden Fuchsmaske auslebt; er wird von den beiden Anna Katharinas zum Mord am untreuen Bräutigam der einen angestiftet. Es ist viel Armut und viel Unglück in diesem Vorarlberger Historienbild, das überrascht nicht, aber es vermag auch nicht zu überzeugen, vor allem das starke weibliche Aufbegehren und die sehr heutige Suche nach der eigenen Identität. Man könnte mit dieser Diskrepanz spielen, aber dafür genügt es nicht, über die Fallgeschichte von einst Denkmuster aus dem 21. Jahrhundert zu legen. So erfahren wir wenig darüber, wie Frauen damals "in einer patriarchalen Dorfgemeinschaft" überlebten, so der Klappentext, sondern wie wir heute Konflikte in der patriarchalen Kleinfamilie zu verstehen gelernt haben. Das betrifft vor allem das Grundproblem in Annkathrins Familie. Das Schwesternverhältnis zwischen Annkathrin, dem Aschenbrödel der Kleinhäuslerfamilie, und der hübschen, zierlichen Marie, die nichts arbeiten muss und vom Vater stets in Schutz genommen wird. Sie hat einen veritablen Waschzwang und zwei ledige Kinder, die der Vater akzeptiert, während er Annkathrins "Balg" verabscheut. Da bei der hübschen Marie von einem Kindsvater an keiner Stelle die Rede ist und der eigene Vater schließlich ihre Ehe mit Annkathrins einstigem Bräutigam (dem späteren Mordopfer) betreibt, scheint hier ein Fall von Kindsmissbrauch angedeutet. Unter "normalen" Bedingungen wäre die Entscheidung des Bräutigams damals wohl genau umgekehrt ausgegangen: Im harten Überlebenskampf der Bauerngesellschaft ging es weniger um ein delikates Äußeres, denn um zupackende Arbeitstüchtigkeit. "Wissen Sie, solche Männer leiden noch viel mehr als die Frauen, weil sie meinen, ohne Mitleid leiden zu müssen, weil ein richtiger Bauer sein Handwerk alleine zu meistern hat und weil er meint, kein rechter Mann zu sein, wenn er jemanden um Hilfe bitten muss. Er würde jetzt sicher Hilfe brauchen, hat aber, wie fast alle Männer nie gelernt, wie man darum bittet", hören wir aus dem Mund eines katholischen Gefängnispfarrers in Tirol im Jahr 1892 - das ist eine der vielen kühnen, aber nicht unbedingt glaubwürdigen Überblendungen der mentalen Zeithorizonte. ---- Quelle: Pool Feuilleton; Fuchsgesicht Die wildesten Geschichten, das wissen wir seit Michael Kohlhaas, wuchern immer aus sogenannten Chroniken hervor. In den Chroniken nämlich wird das Leben beinhart, klar und schroff dargestellt. In Doris Rüdissers Erzählung "Fuchsgesicht" wird gleich zu Beginn eine Chronik zum Anklingen gebracht, damit alles klar ist. Eine Mordgeschichte aus dem Bregenzer Wald wird 1891 am Gericht Feldkirch zum geordneten Abschluss gebracht, die drei Angeklagten werden zum Tode verurteil, später begnadigt man die Erzählerin Anna Katharina und die sogenannte Witwe Anna Katharina, während das Fuchsgesicht Peter Paul hingerichtet wird. Die nicht hingerichteten Frauen erzählen mit Rollenwechsel und Außenperspektive der eigenen Seele, was sich so in einer entlegenen Gegend zuträgt, wenn man das Leben bis an den Rand ausschöpft. Und das ist ja der Spagat, den es hinzulegen gilt, einerseits das raue Leben auszuhalten, andererseits durch raue Lebensführung überhaupt das Leben hinzukriegen. Alles was wir heute unter Lebenskunst und Selbstverwirklichung subsumieren, ist in früheren Jahren in entlegenen Gegenden eine fast tierische Überlebenskunst gewesen. "Ja, die Larve, die hatte er an einer Viehtränke im Tirolischen gefunden, im Schnee, in den Kuhmist getreten. Zu einem Dreckbollen zusammengefroren lag sie auf der Schattseite hinter einem Brunnen. Aus Sackleinen und Leder und Fell genäht, ein stinkendes Fuchsgesicht." (45) Anna Katharina, aus dem Gefängnis entlassen, versucht über den Geliebten, Hingerichteten, Außenseiter ein paar erklärende Sätze für sich selbst zu finden. "Ich weiß auch, dass Peter Paul zwei Menschen ist, der eine, der nicht sein darf, wie er ist, und der andere, der nicht werden kann, wer er ist, weil er den Ersten dauernd verstecken muss, die ganze Zeit, die ihm der Herrgott gibt auf Erden." (44) Die Erzählung hechelt atemlos der Frage nach, was es für ein Überleben an der Existenzmarke überhaupt braucht. Vielleicht muss man eine Mischung aus Werwolf und Fuchsgesicht werden, um die Welt ordentlich zu erschrecken. Doris Rüdisser erzählt mit grausig-scharfen Worten und Überlebensformeln eine Geschichte wie im Kleistschen Sinne. Nicht die Lösung eines Falles steht im Mittelpunkt, sondern dieser Zündfunke von sinnlosem Anlass, der daraus eine verquickte Überlebensgeschichte zum Explodieren bring. Fuchsgesicht ist vielleicht deshalb ein Seelenkrimi, weil diese Erzählung gar nicht auf das Krimi-Genre schielt. Hier geht es beinhart, archaisch, "fuchsgesichtig" zwischen Schlauheit und intellektuellem Tier zu. Einbohrend bemerkenswert! Helmuth Schönauer


Rezension


Dieses Medium ist verfügbar.

Personen: Rüdisser, Doris

Rüdisser, Doris:
Fuchsgesicht : Erzählung / Doris Rüdisser. - Hohenems : Limbus, 2010. - 108 S.
ISBN 978-3-902534-36-1

Zugangsnummer: 557
Romane, Krimis, Erzählungen und Novellen - Signatur: DR Rüd - Buch