Köhlmeier, Michael
Zwei Herren am Strand Roman
Buch

Quelle: bn.bibliotheksnachrichten (http://www.biblio.at/literatur/bn/index.html) Autor: Jutta Kleedorfer; Eine breit angelegte Romanbiografie über zwei historische Persönlichkeiten, die wesentlich das 20. Jahrhundert prägten. (DR) Unmittelbar nach der Vorstellung der fiktiven Quellen des Ich-Erzählers, in den der Autor schlüpft, um die Glaubwürdigkeit seiner Geschichte zu begründen, kommt die titelgebende Schlüsselszene: Bei einer Party 1927 am Strand von Santa Monica treffen die beiden Engländer Winston Churchill und Charlie Chaplin zusammen. Bei einem Spaziergang am Strand sprechen sie offen über ihre ureigenen Ängste, deren Thema von nun an ihre Freundschaft bestimmt: Selbstmord. Dieser erscheint ihnen als letztmöglicher Ausweg, um dem Ausgeliefertsein an den "schwarzen Hund Depression" zu entkommen. Um sich gegenseitig vom Suizid abzuhalten, schließen sie einen Pakt. Daraus entwickeln sich biografisch gesonderte Erzählstränge von Churchill und Chaplin, die in zeitgeschichtliche Ereignisse eingebettet sind: von der Arbeit Chaplins an seinen Filmen, die in dem Meisterwerk "Der große Diktator" gipfelt, bis zu Churchills Aufstieg im Widerstandskampf gegen Nazi-Deutschland. Die beiden Männer treffen sich tatsächlich in größeren Zeitabständen immer wieder, in Amerika, England oder Deutschland, gehen spazieren und reden, "talk-walks" oder ironisch "duck-walks" nennen sie ihre Art der Therapie. Bei einem solchen späteren Treffen der zwei am Strand von Biarritz taucht noch ein Unbekannter auf, der mit dem Schiller-Zitat aus der Bürgschaft "Ich sei, gewährt mir die Bitte, in eurem Bunde der Dritte" sich als Mitglied ihres "Clubs" outet. Es ist unausgesprochen der Autor selbst, der erzählt und schreibt, um die Qualen seines Lebens zu überstehen. Seine Erzählhaltung ist ein raffiniertes Spiel, in dem er mit den unterschiedlichen Erzählinstanzen jongliert, viel historisches Material aus der Filmgeschichte, über den Ersten und Zweiten Weltkrieg aufarbeitet und umfangreiche philosophische Abhandlungen über das Komische einfließen lässt, wobei die Grenzen zwischen Fiktivem und Faktischem verschwimmen. Das Faszinierende an diesem Roman mit seinen zugegebenermaßen manchmal ausufernden Passagen ist, wie es Köhlmeier mit seiner verdichteten Erzählkunst gelingt, zwei historische Persönlichkeiten im Rahmen der Geschichte des 20. Jahrhunderts so darzustellen, dass man/frau tief im Inneren berührt einem Stück der eigenen Identität begegnet. Die vom Autor angewandte Spiegeltechnik überträgt sich auf die LeserInnen und ermöglicht, persönlich Anteil zu nehmen an höchster literarischer Erzählkunst. ---- Quelle: Literatur und Kritik; Autor: Rainer Moritz; Gemeinsame Feinde Michael Köhlmeiers Roman "Zwei Herren am Strand" Man nehme zwei berühmte Männer, die Weltgeschichte schrieben und die auf den ersten Blick kaum Berührungspunkte aufweisen. Anschließend lässt man sie öfter, als es in der Wirklichkeit geschah, aufeinander treffen, erfindet allerhand Begebenheiten und Quellen, um dem geneigten Leser Denksportaufgaben mit auf den Weg zu geben und angehende Literaturwissenschaftler mit Stoff für Master- und Doktorarbeiten zu versorgen. So sah das Szenario aus, das Daniel Kehlmann 2005 seiner hocherfolgreichen Vermessung der Welt zugrunde legte und das den Mathematiker Carl Friedrich Gauß und den Naturforscher Alexander von Humboldt zu unvergesslichen Romangestalten machte. Nein, wir wollen Michael Köhlmeier nicht unterstellen, das Vorbild des Kehlmann'schen Bestsellers in seinem Roman Zwei Herren am Strand nachzuahmen, doch natürlich gibt es Parallelen. Charlie Chaplin, der Komiker und Filmemacher, und Winston Churchill, der Nobelpreisträger und Staatsmann, sind es in diesem Fall, die über alle Distanz und alle politischen Meinungsunterschiede hinweg eine eigentümliche Freundschaft pflegen, Strandspaziergänge unternehmen und sich schwören, einander in Notfällen beizustehen. Chaplin und Churchill kannten sich in der Tat; Fotos zeigen ein ungleiches Paar, das gegen gemeinsame Feinde zu kämpfen hatte. Zum einen leiden beide am "Schwarzen Hund" der Depression und sind suizidgefährdet; zum anderen versuchen sie in den 1930er-Jahren auf ihren so ureigenen Terrains gegen einen gewaltigen politischen Gegner anzugehen, gegen Adolf Hitler und sein nationalsozialistisches Regime. Chaplin tut das mit seinem grandiosen Film Der Große Diktator, wohingegen Premierminister Churchill im Zweiten Weltkrieg alle Register zieht, um Hitler und die Deutschen zu bekämpfen. Oder wie es eine plakative, dem begriffsstutzigen Leser gewaltsam auf die Sprünge helfende und deshalb völlig misslungene Passage des Romans formuliert: "Charlie als lächerlicher Diktator und zugleich als jüdischer Friseur, das war der Schlag ins Gesicht des Unmenschen. Nur einer hat ähnlich hart zugeschlagen - Winston Churchill; er freilich nicht mit den Waffen des Clowns." Um seine originelle Idee, Chaplin und Churchill zu Romanhelden zu machen, anschaulich zu illustrieren, greift Michael Köhlmeier tief in die Kiste seines umfangreichen Erzähl­repertoires. Mit Lust an der Verrätselung erfindet er Figuren wie Churchills Privatsekretär William Knott, lässt Chaplin imaginäre Gespräche mit einem Journalisten namens Melzer führen und spornt Theodor Adorno zu seinem partout nicht zu googelnden Aufsatz "Die Methode des Clowns" an. Gleichzeitig flicht Köhlmeier historisch Authentisches ein und greift unter anderem Anekdoten aus Churchills früher Autobiografie My Early Life auf. Hinzu kommt eine Rahmenhandlung, deren Notwendigkeit nicht recht einzusehen ist und die zwei Spiegelfiguren der Protagonisten liefert: den Ich-Erzähler, einen Gymnasiallehrer, der seine eigentliche Berufung als Spaßmacher sieht, und dessen Vater, einen Beamten der kommunalen Milchaufsicht, der als Autodidakt zum beachteten Churchill-Forscher wird, auf einem Kongress Sekretär Knott kennenlernt und mit diesem eifrig korrespondiert. Es ist nicht zu verkennen: Köhlmeier gibt sich erdenkliche Mühe, ein postmodernes, Funken schlagendes Spiel zu inszenieren, die Geschichte des Stumm- und des aufkommenden Sprechfilms ebenso wie Churchills Malleidenschaft einfließen zu lassen oder Randfiguren des Geschehens wie den Hitler-Mäzen Hanfstaengl oder Churchills unglückseligen Sohn Randolph einzubeziehen. Das ist routiniert gemacht, keine Frage, besitzt Charme und Witz und beleuchtet die unterschiedlichen Mittel, mit denen Kunst und Politik arbeiten. Unterm Strich freilich wirkt Zwei Herren am Strand wie ein Nebenwerk, das gefallen will und sich eine Spur zu sehr an seinem Grundeinfall, dem Auftritt des Duos Chaplin/Churchill, ergötzt. Was uns dieser am Ende sehr hurtig durch die Geschichte schreitende Roman letztlich sagen möchte, bleibt so im Vagen und Unverbindlichen. Mehr als ein Porträt, das man nicht lange in Erinnerung behält, geben die beiden Herren am Strand leider nicht ab.


Rezension


Dieses Medium ist voraussichtlich bis zum 20.10.2024 ausgeliehen.

Personen: Köhlmeier, Michael

Köhlmeier, Michael:
Zwei Herren am Strand : Roman / Michael Köhlmeier. - München : Carl Hanser, 2014. - 253 S.
ISBN 978-3-446-24603-4

Zugangsnummer: 231
Romane, Krimis, Erzählungen und Novellen - Signatur: DR Köh - Buch