Black lives matter – eine Gesellschaft, in der das eine Botschaft sein kann, die viele rufen und die viele nicht hören, steht am Abgrund. Und Starr hat direkt hineingesehen. Dabei freute sich die 16-Jährige an diesem Abend, ihren alten Freund Khalil wiederzutreffen. Dann fuhren sie mit dem Auto rum, dann gerieten sie in eine Polizeikontrolle, und dann machte Khalil einen Fehler: „Meine Eltern haben mir nicht beigebracht, die Polizei zu fürchten, sondern mich in ihrer Gegenwart einfach klug zu verhalten. Sie haben mir erklärt, dass es nicht klug ist, sich zu bewegen, während ein Cop dir den Rücken zudreht.“ Das war der Abend, an dem Starr zum zweiten Mal in ihrem Leben jemanden sterben sah, zum zweiten Mal in den Lauf einer Pistole blickte und in den Abgrund, an dessen Rand sie aufgewachsen ist. Beim ersten Mal war sie zehn und es war ihre gleichaltrige Freundin Natasha, die aus einem vorbeifahrenden Wagen erschossen wurde, einfach so. Ihre Eltern verleugnen sich und ihre arme Herkunft nicht, aber sie wollen ihre Kinder aus Ärger heraushalten und ihnen Chancen bieten. Jedenfalls soweit das in einem Viertel möglich ist, in dem man von Arbeitslosigkeit und Drogen umzingelt ist, in der man durch die Kugel eines Polizisten sterben kann oder durch die eines Gangmitglieds, oder weil man ganz einfach zur falschen Zeit am falschen Ort ist. Starrs Eltern arbeiten hart, damit ihre Kinder eine bessere Schule in einem besseren Viertel besuchen können, wo Starr versucht, möglichst nicht aufzufallen – schwierig, wenn man fast die einzige Schwarze an der Schule ist. „Zweierlei Menschen zu sein, ist so anstrengend. Ich habe mir angewöhnt, mit zwei verschiedenen Stimmen zu sprechen und unter bestimmten Leuten nur bestimmte Dinge zu sagen. Darin war ich meisterhaft.“ Aber seit sie Zeugin wurde, wie Khalil grundlos erschossen wurde, muss sie sich entscheiden, wohin mit der Wahrheit, wohin mit ihrer Angst, wohin mit ihrer Wut. „Manchmal laufen Dinge falsch – Aber entscheidend ist, dass man trotzdem weiter das Richtige tut.“ Angie Thomas’ „The Hate U Give“ ist ein spannender Jugendroman und ein politisches Buch zur Stunde. Vor allem aber ist es auf eine berührende Art zutiefst moralisch, ohne dabei einseitige Perspektiven oder einfache Lösungen anzubieten. Die Figuren sind plastisch, oft liebenswert und wecken allesamt Neugier, mehr über sie zu erfahren. Die Dialoge und der Slang der Straße lesen sich selbst in der deutschen Übersetzung von Henriette Zeltner überraschend gut und die Handlung entwickelt sich so stringent, dass sich eine filmische Umsetzung, wie sie derzeit in Arbeit ist, geradezu aufdrängt. Wenn man unbedingt etwas an der Geschichte zu kritisieren sucht, dann das versöhnliche und hoffnungsvolle Ende, weil so viel Optimismus angesichts des rassistisch geprägten und sozial tief gespaltenen Amerika seltsam wirkt – aber das ist wohl weniger eine Schwäche des Romans als eine der Realität.
Personen: Thomas, Angie
JE.T Thoma
Thomas, Angie:
¬The¬ Hate U Give / Angie Thomas. Aus dem Amerikan. von Henriette Zeltner. - München : cbt, 2017. - 508 S.
ISBN 978-3-570-16482-2 fest geb. : ca. € 18,50
Gesellschaft, Psychologie, Krankheit - Buch