Kasper, Walter
Die Liturgie der Kirche
Buch

Die Feier des fünfzigjährigen Jubiläums der Liturgiekonstitution Sacrosanctum Concilium 2013 wirft ihre Schatten schon jetzt voraus. Solche Jubiläen geben immer auch Anlass, kritisch Bilanz zu ziehen und einen Blick in die Zukunft zu werfen. Ein wichtiger Beitrag für diese Diskussion kommt aktuell von Walter Kasper, der im Rahmen seiner gesammelten Schriften einen Band über "Die Liturgie der Kirche" vorlegt. Das Buch versammelt bereits veröffentlichte Beiträge zur Sakramententheologie aus beinahe fünf Jahrzehnten, wobei die 'großen Sakramente' Taufe und Eucharistie sowie die Sakramente der Ehe und der Buße im Mittelpunkt stehen. Besondere Aufmerksamkeit verdient jedoch der grundlegende erste Beitrag über "Aspekte einer Theologie der Liturgie", den Kasper angesichts der "neueren, teilweise heftigen Diskussionen um die nachkonziliare Erneuerung der Liturgie" neu verfasste und dem Sammelband voranstellte. Kasper will sich dabei nicht an gegenwärtigen Diskussionen über "banalisierende Missbräuche oder die Rückkehr zu vorkonziliaren Formen" beteiligen, er ruft vielmehr zu einer Besinnung auf "Geist und Wesen der Liturgie" auf. (alle Zitate 13 f.) Ausgangspunkt für Walter Kaspers Überlegung sind die liturgischen Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils, wobei er die enge Verbindung zwischen Liturgiekonstitution und liturgischer Erneuerungsbewegung betont, die nicht nur darauf abzielte, die Riten zu erneuern, sondern die missionarische Ausstrahlung des gesamten kirchlichen Lebens zu vertiefen. Fast 50 Jahre nach Verabschiedung von Sacrosanctum Concilium (4. Dez. 1963) stellt sich daher die brennende Frage nach der Fortführung der liturgischen Erneuerung, da die konkrete Gestalt der Liturgie etwas "geschichtlich Gewordenes" ist und "das vom Konzil gesteckte Ziel bisher nicht erreicht wurde". Kasper bestreitet hier keineswegs die "vielen guten Früchte" der liturgischen Reformen, sondern verweist auf die Tatsache, dass die "Kirchen leerer" und die "Klagen über die Formlosigkeit und Missbräuche" größer werden. Nicht zuletzt deswegen mahnt Kasper eine Fortführung der liturgischen Erneuerung an, was im Umkehrschluss allerdings nicht heißt, dass die "Liturgie immer wieder neu erfunden" und dem "jeweiligen Geschmack angepasst" werden müsste. Maßstab für jede Erneuerung ist und bleibt der Liturgiebegriff des Zweiten Vatikanischen Konzils, der unter Liturgie die Feier des Paschamysteriums im Namen der Kirche versteht. Die Antwort auf die Frage, wie eine Fortführung der Reformen aussehen könnte, heißt daher laut Kasper nicht: "Bruch mit der Tradition und Neuerung, sondern Erneuerung aus dem Geist der Liturgie und ihrer Tradition, welche eine lebendige Tradition ist." Nur wenn eine solche Erneuerung gelingt, kann sie auch zur notwendigen gesamtkirchlichen Erneuerung führen. Diese Idee steht letztlich auch im Hintergrund der Liturgiekonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils. Seither haben sich allerdings die Rahmenbedingungen von Kirche und Gesellschaft drastisch verändert. Kasper plädiert daher nachdrücklich dafür, die gegenwärtigen kirchlichen und gesellschaftlichen Krisen in eine enge Beziehung zu setzen: "Denn in menschheitsgeschichtlicher Perspektive ist der Kult die Seele der Kultur". Die Gefahr besteht, dass durch den Verlust der Ehrfurcht vor dem Heiligen auch "die Kultur ihre Seele" verliert und schlussendlich selbst zerfallen wird. Folgt man diesen Überlegungen, wird klar, dass die angedachte Erneuerung der Liturgie und die daraus folgende "liturgische Kultur" nicht nur ein binnenkirchliches Problem darstellt: "Die Erneuerung muss aus einer theologischen Besinnung kommen und in kritischer wie konstruktiver Auseinandersetzung mit dem Geist der Zeit geschehen." (alle Zitate 16-18) Walter Kaspers Programm für eine neue Kultur der Liturgie angesichts der Krise der Moderne wirkt auf den ersten Blick vertraut: Er plädiert für eine "neue Sonn- und Feiertagskultur", die Liturgie als 'Unterbrechung' der säkularisierten Zeit definiert, um den Himmel offen zu halten; für eine "neue liturgische Kultur der Erinnerung", die sich das Gedächtnis der Heilstaten Gottes und die Geschichte der Märtyrer und Heiligen feiernd gegenwärtig hält; für eine "liturgische Kultur in versöhnter Gemeinschaft", die alle Missverständnisse und Entfremdungen innerhalb der einen Liturgie der Kirche nach Kräften vermeidet, gemäß dem Grundsatz: Eine Kirche, eine Liturgie! Die Liturgie soll darüber hinaus nicht "lieblos, kulturlos" und "glanzlos" zelebriert werden, denn dort, wo sie schön gefeiert und gestaltet wird, "bricht sie unsere in sich geschlossene und verschlossene Welt auf." (alle Zitate 82) Kasper greift mit seinen Gedanken für eine neue Kultur der Liturgie die Tradition der Liturgischen Bewegung auf, indem er seine "Aspekte einer Theologie der Liturgie" stark biblisch orientiert. Er verfällt nicht in eine Nostalgie vergangener Tage, der es nicht mehr gelingt, Modelle für die Zukunft zu entwickeln. Durch seine systematische Aufbereitung des jüdisch-christlichen Gottesdienstverständnisses mit Hilfe des biblischen memoria-Begriffes fordert er zu einer neuen liturgischen Kultur der Erinnerung auf, die in der Lage ist, mit der modernen Gesellschaft in Dialog zu treten. Dieser angedachte Dialog muss von der Theologie aufgegriffen werden, um der Gefahr der Isolierung durch eine rein binnenkirchliche Debatte zu entgehen. Dort, wo - mit Kasper gesprochen - anerkannt wird, dass kirchliche und gesellschaftliche Krisen nicht strikt zu trennen sind, kann dieses Gespräch auf Augenhöhe geführt werden und vielleicht auch zu innovativen Lösungen führen. Für die Liturgiewissenschaft selbst tut Kaspers systematischer Blick gut und kann durchaus zu kritischen Rückfragen anregen. Muss sich die Liturgiewissenschaft nicht eingestehen, dass sie aktuellen (systematisch-theologischen) Fragestellungen manchmal ausweicht und in zu historisch oder praktisch orientierte Forschungsgebiete abgleitet? Man muss positiv herausstreichen, dass Kasper sich als Systematiker mit der Liturgie so eingehend beschäftigt, andererseits wäre die eine oder andere Anbindung an aktuelle Forschungsfragen bzw. -literatur der Liturgiewissenschaft geboten. In seinem Vorwort sagt er zwar, sich nicht in aktuelle Kontroversen einmischen zu wollen, was er aber nicht immer durchhält. So manche Fußnote oder Randbemerkung zu kontroversen Themen verlangt nach näheren Erläuterungen. Im Kapitel "Liturgie im Alltag der Welt" lässt der Autor nochmals klar durchblicken, dass die Feier des Glaubens konkrete Lebenssituationen aufnehmen muss, um in der Krise der Moderne bestehen zu können. Was man darunter in concreto zu verstehen hat, werden hoffentlich Systematiker und Liturgiewissenschafter zukünftig aufgreifen und bearbeiten. Ein großer Gewinn für die zumeist sehr leicht und flüssig lesbaren Texte sind Kaspers große Erfahrungen auf dem Gebiet der Ökumene. Wo immer er sein langjährig eingeübtes Expertenwissen einbringt, profitiert die Leserschaft. Kasper wird nicht müde festzuhalten, dass eine neue liturgische Kultur auch im ökumenischen Bereich sichtbare Zeichen setzen muss. Denn auch hier gilt: "Die Kirche leistet ihren Beitrag zu einer erneuerten Kultur nicht in erster Linie durch das, was sie sagt, sondern durch das, was sie ist und in der Liturgie feiert." (82) Neben den biblischen Akzenten greift Kasper immer wieder auf die Kirchenväter zurück. Einer seiner Leitsprüche, der dem Leser durch das gesamte Werk immer wieder begegnet und einen Schlussakzent setzt, greift ein Zitat von Irenäus von Lyon auf. "Die Ehre Gottes ist der lebendige Mensch." Anders ausgedrückt: "Der Gottesdienst macht menschlich." So gefeierter Gottesdienst schützt uns davor, "unter unsere menschliche Würde zu fallen und im Alltag und im Alltäglichen und seinen Banalitäten aufzugehen. Der Gottesdienst zeigt uns und verwirklicht unsere wahre menschliche Würde; er ist Ausdruck der Freiheit des Christenmenschen." (beide Zitate 130) *Theologisch-praktische Quartalschrift*4/2011 Andreas Bieringer


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Personen: Kasper, Walter

Schlagwörter: Liturgie Theologie

Interessenkreis: Liturgie - Treffen / Oktober 2014

Kasper, Walter:
¬Die¬ Liturgie der Kirche / Walter Kasper. - Freiburg : Kerle, 2010. - 544 S.
ISBN 978-3-451-30610-5 fest geb. : ca. Eur 32,00

Zugangsnummer: 2010/0260
Liturgie allgemein - Signatur: L1 Kaspe - Buch