Psychogramm einer dysfunktionalen ländlichen Familie. (DR) Mit »Krummes Holz« hat die 1991 in Westfalen geborene Julja Linhof ein eindrucksvolles Romandebüt vorgelegt. Wir befinden uns in den 1970ern und bewegen uns mit dem 19-jährigen Protagonisten Jirka auf den im ländlichen Südwestfalen gelegenen elterlichen Hof namens »Krummes Holz« zu. Dort erwartet uns alles andere als ein festlicher Empfang: Der Vater ist verschwunden, Jirkas ältere Schwester Malene, die den Bauernhof seit dem Tod der Mutter im Alleingang führt, ist dem Heimkehrer äußerst unfreundlich gesinnt, und die demente Großmutter scheint den Heimgekehrten erst gar nicht wahrzunehmen. Und anstelle eines sentimental gestimmten Mannes mittleren Alters, der in seine Kindheit zurückreist, treffen wir auf einen jungen Mann, der nicht einmal selbst Lust auf Heimkehr hat: Fünf Jahre hatte er in einem Internat verbracht und jeglichen Kontakt zur Heimat gezielt vermieden. Trister geht wohl nicht mehr. Wir haben somit eine Art Anti-Heimkehr-Roman vor uns. Warum Jirka, der eigentlich Georg heißt, dennoch heimkehrt, erfahren wir nicht. Überhaupt gibt es kaum einen klassischen Plot. Vielmehr webt die Autorin vergangene und gegenwärtige Ereignisse ineinander und lässt uns spüren, wie stark es unter der Oberfläche einer zum Stillstand gekommenen (Familien-)Geschichte brodelt. Denn Linhof gibt Jirkas Erinnerungen immer mehr Raum, wodurch wir in steigenden Dosen immer mehr Details über die durch Misshandlungen seitens des Vaters geprägte Kindheit von Jirka und Malene erfahren. Auch starke Schuldgefühle, verursacht durch homoerotische Annäherungsversuche Jirkas mit einem Saisonarbeiter, nehmen viel Raum ein. Fast schon programmatisch stellt Linhof ihrem Roman Kants Aussage über das krumme Holz des Menschen voran, denn aus ihren Figuren hätte sich in der Tat nichts Gerades zimmern lassen. So ist »Krummes Holz« alles in allem zu einem bedrückenden Psychogramm einer zerrütteten Familie geraten.
Personen: Linhof, Julja
Linhof, Julja:
Krummes Holz : Roman / Julja Linhof. - Stuttgart : Klett-Cotta, 2024. - 271 Seiten
ISBN 978-3-608-96609-1 Festeinband : EUR 22,70 (AT)
Schöne Literatur - Signatur: Linho - Buch