Man kriegt im Leben nicht immer, was man will. Die Welt ist eben nicht eine "einzige Wunscherfüllungsmaschine". Diese banale Wahrheit ist eine der ersten Erfahrungen, mit der jene, die frisch auf diese Welt kommen, konfrontiert werden - und sie ist schmerzhaft. Der Schmerz wird ein wenig kleiner, je öfter sie diese Erfahrung gemacht haben und irgendwann haben sie gelernt, sie als gegeben hinzunehmen, einen Gott dafür verantwortlich zu machen oder die Gesetzmäßigkeiten der Evolution, und sie reagieren wütend oder deprimiert, zynisch oder hingebungsvoll gelassen oder gar optimistisch auf Versagungen. Je nachdem. Mit manchen allerdings hat das Schicksal, dieser miese Verräter, es ganz böse gemeint - die Welt ist für sie nichts weniger als eine Wunscherfüllungsmaschine. Etwa für die Bewohner der "Krebsrepublik". Hazel Grace Lancaster gehört schon gut drei Jahre zu ihnen, seit ein Schilddrüsenkrebs ein Teil von ihr ist und ihre Lunge so grottenschlecht arbeitet, dass nächtens eine Beatmungsmaschine ihr die Arbeit abnehmen muss und tagsüber eine Sauerstoffflasche. Dass sie überhaupt noch lebt, ist einem Medikament im Forschungsstadium zu verdanken. Wie lange noch, steht in den Sternen. Alles in ihrem Leben ist eine "Nebenwirkung des Sterbens": ihre Schmerzen, die sie manchmal wünschen lassen, schon tot zu sein, Depressionen, die wechselnde Besetzung der Selbsthilfegruppe, die sie nur ungern besucht. Die Verzweiflung ihres Vaters, die Aufopferung ihrer Mutter. Anderen Menschen kommt Hazel nicht mehr nahe, schließlich sieht sie sich selbst als Zeitbombe: "Ich bin eine Bombe, und irgendwann gehe ich hoch, und ich würde die Zahl der Opfer durch Kollateralschäden gern minimieren, okay?" Dass Hazel in der Selbsthilfegruppe Augustus kennenlernt, ist in Wirklichkeit auch eine Nebenwirkung des Sterbens. Ein Osteosarkom hat ihm ein Bein abgebissen. Zwar sind bei diesem Krebs die Heilungschancen gut, "[a]ber man kann nie wissen". Dass die beiden sich unsterblich ineinander verlieben, dafür ist dann allerdings nicht das Sterben, sondern John Green verantwortlich. Von der Liebe hat der junge amerikanische Autor auch schon in seinen früheren Romanen erzählt: In "Eine wie Alaska" (2007) verliebt sich Miles Hals über Kopf in eine Mitschülerin und verliert sie nach dem ersten Kuss. In "Die erste Liebe [nach 19 vergeblichen Versuchen]" (2008) wird Colin neunzehn Mal verlassen - und leidet daran wie ein Hund. Und in "Margos Spuren" (2010) schließlich muss Quentin seinen Gefühlen zu Margo entlang kryptischer Botschaften nachjagen. Die Helden aller drei Bücher - aus deren Sicht auch erzählt wird - versuchen, die Liebe zu entschlüsseln, und die Heldinnen entziehen sich den Versuchen der jungen Männer weitgehend oder nachhaltig. In "Das Schicksal ist ein mieser Verräter" (im Original "The Fault in Our Stars") geht Green anders vor und deutlich weiter: Er lässt das Mädchen erzählen und die Liebe der beiden grandios sich erfüllen. So wird der Roman zu einer intelligenten Feier großer Gefühle - des höchsten Schmerzes, der unendlichen Liebe und der tiefen Verzweiflung. Dass das nicht zu einer Schmonzette gerät, hat mit der Gestaltung der jugendlichen Figuren zu tun und mit der Situation, in die Green sie stellt. Hazel und Augustus (und auch Issac, ein weiterer Bewohner der Krebsrepublik) sind typische Green-Figuren: klug, belesen, witzig, wortgewandt und schlagfertig, fähig zu Selbstironie, andern gegenüber meist großherzig. Wie ihre VorgängerInnen stellen Sie auch jene Fragen, die im Transitraum Jugend in besonderer Art und Kompromisslosigkeit gestellt werden: jene nach dem Sinn menschlicher Existenz und ihrem Leiden, nach der Bedeutung des Augenblicks und nach der wahren Liebe. Da die Bewohner der Krebsrepublik diese Fragen aber angesichts des Todes stellen, sind sie noch radikaler gezwungen, eine Antwort zu finden. Der Aufgabe, darüber zu schreiben, stellt sich Green mutig und ohne Ausflüchte. Trotz des Ernstes der Lage bewahrt er sich aber den leichten Ton, ist in den Dialogen geschliffen und geschmeidig, in den Bildern souverän, in der Dramaturgie geschickt: Das Wechselbad der Gefühle, das er den LeserInnen beschert, ist gekonnt inszeniert, der Schrecken wird immer wieder abgefangen durch Witz, Slapstick, manchmal auch durch zynische Kommentare der Figuren. Darüber hinaus ist "Das Schicksal ist ein mieser Verräter" auch ein Roman über Literatur. Nicht nur werden große Dichter und Gedichte zitiert, es steht ein ganzes Buch mit dem Titel "Ein herrschaftliches Leiden" im Zentrum. Es ist dies das Lebensbuch der Heldin, das zum Motor für die Bewegung im Roman wird. Wer will, kann in diese Reflexion über die Bedeutung von Literatur (oder Kunst insgesamt), über ihre Wirkung und Nebenwirkungen, gleich jene Erfahrungen miteinbeziehen, die er selbst gerade beim Lesen von "Das Schicksal ist ein mieser Verräter" macht. In den Worten des fiktiven Autors des fiktiven Buches lauten die zentralen Fragen: "Hat das flüchtige Aufflackern von Bedeutung, das uns die Kunst beschert, in Anbetracht der Nichtigkeit unseres täglichen Kampfes überhaupt einen Wert? Oder besteht ihr einziger Wert darin, uns so angenehm wie möglich die Zeit zu vertreiben? Was erhoffen wir uns von einer Geschichte, Augustus? Das Schrillen von Alarmglocken? Den Ruf an die Waffen? Einen Morphiumtropf?" Gute Fragen. Eine Antwort? Vielleicht ist Literatur zumindest manchmal eine Wunscherfüllungsmaschine, wenn schon die Welt diese Aufgabe nicht übernehmen will. Und ist für jeden das, was er gerade am Nötigsten hat. John Green jedenfalls erfüllt mit diesem Roman, den Sophie Zeitz gewohnt fein ins Deutsche übersetzt hat, ziemlich viele Wünsche ziemlich vieler LeserInnen. Es ist der Jugendroman des Herbstes. Nicht nur für Jugendliche.
Personen: Zeitz, Sophie Green, John
Green
Green, John:
Das Schicksal ist ein mieser Verräter / John Green. Aus dem Engl. von Sophie Zeitz. - München : Carl Hanser, 2012. - 285 S.
ISBN 978-3-446-24009-4 fest geb. : EUR 16,90
Jugendbücher (bis 12 Jahre) - Buch