Sprachlich wie thematisch vielschichtige Hommage an einen sich unermüdlich für Ideen, Projekte und Menschen einsetzenden Utopisten. (DR) Ein Gehöft in der Beuge des Lamanderbaches. Hier lebt, liebt, liest, träumt und kämpft Freigeist Tom. Mit seinem großen sozialen und kulturellen Engagement bringt er die Weite der Welt in die Enge dieser oberösterreichischen Provinzidylle. Die von ihm initiierten Freitagabendtreffen mit Musik und Literatur sind Mythos. Doch die unorthodoxe Lebensführung dieses charismatischen, hochtalentierten Mannes polarisiert seine Umgebung, teils wird er heiß geliebt und bewundert, teils misstrauisch beäugt oder abgelehnt. Bob Dylans dem Roman vorangestellte Songzeile "I fought with my twin the enemy within" bringt Toms Lebensdrama auf den Punkt. Dieser manische Bücherverschlinger und Bob-Dylan-Verehrer steht sich selbst im Weg, vergisst bei seinem unermüdlichen Einsatz für eine gerechtere, friedliche Welt auf sich selbst. Angefangenes wird selten vollendet, Studium, Berufliches und Beziehungen haben ein Ablaufdatum. Selbst Toms innige Liebe zu Elisa erlebt einen Bruch. In markantem Tonfall zeichnet die Autorin in diesem teils auf realen Verhältnissen, teils auf freier Erfindung basierenden Roman das feinfühlige Lebensbild eines Zerrissenen, immer wieder Suchenden nach. Für sprachliche Spannung und Dichte dieser musikalischen, lyrischen Prosa sorgt der Rhythmuswechsel zwischen episch breiter Ruhe und ganz kurzen, konzentrierten Sätzen. Das zentrale Leitmotiv der Verortung findet sich bereits in früheren Büchern der in Oberösterreich aufgewachsenen, heute in Salzburg lebenden Autorin Brita Steinwendtner. Erneut sind hier reale Schauplätze und Personen Ausgangspunkte und Nährboden ihrer Vorstellungskraft. Die eindrucksvollen Bilderwelten und Naturschilderungen zeigen die Provinz in einem helleren Licht, entführen aber auch an fernab gelegene Sehnsuchtsorte wie dem amerikanischen Saskatchewan. Durch ihre auktoriale Erzählweise hält sie das richtige Gleichgewicht zwischen Empathie und Distanz zu ihrer Hauptfigur. Die langjährige ehemalige Leiterin der Rauriser Literaturtage wollte dem Mann, der für die Romanfigur Tom als reales Vorbild diente, ein Denkmal setzen. Ein für Toleranz, Freiheit, ein friedliches Miteinander und Akzeptanz der Individualität plädierender Roman, aber auch reichhaltige Schatzkiste voller literarischer und musikalischer Fundstücke, sehnsuchtsvolle Liebesgeschichte und Lob auf die Provinz - nicht nur für Bob-Dylan-Fans ein intelligenter Lesegenuss.
Personen: Steinwendtner, Brita
DR Ste
Steinwendtner, Brita:
An diesem einen Punkt der Welt : Roman / Brita Steinwendtner. - Innsbruck : Haymon, 2014. - 319 S.
ISBN 978-3-7099-7135-2 fest geb. : ca. EUR 22,90
DR - Dichtung/Belletristi