Im Idealfall erschließt ein historischer Roman einen längst vergessenen Vorfall und macht diesen für die Gegenwart aktuell, indem er durch die Erzählung abermals stattfindet. Jeannine Meighörner kümmert sich in ihren historischen Aufbereitungen um starke Frauen in der Geschichte Tirols. Nach der feinfühligen Biographie "Starkmut" über jene Frau, die Andreas Hofer erst zum Widerstandskämpfer gemacht hat, kommt im neuen Roman die Wahl-Tirolerin Philippine Welser ins Licht der Darstellung, eine Frau aufgerieben zwischen dem Finanzadel ihrer Herkunft und dem pragmatisch angeheirateten Habsburgerclan. Philippine Welser, die heimliche Frau des Ferdinand II, wird zwar äußerlich aufgerieben in den politischen Strategien, innerlich freilich spielt sie sich offensichtlich frei von diesen Herrschaftskulten. Sie macht sich als Frau mit heilenden Kräften selbständig, errichtet auf Schloss Ambras bei Innsbruck eine Gegenkultur zur Hofburg und öffnet das Schloss für Kranke uns Sieche. Obwohl sie viele Menschen heilen kann, stirbt sie selbst an der Habsburger Krankheit, wie die Syphilis manchmal genannt wird. "Sie, die so viele Jahre ihres Lebens keine öffentliche Frau war, keine öffentliche Ehefrau sein durfte, erhielt dennoch eine letzte Ehre: einen öffentlichen Tod." (198) Diese historische Biographie wird freilich zu einem rasenden Lese-Abenteuer durch einen raffinierten Erzähl-Kunstgriff: der Hofzwerg Thomele erzählt die Story aus der Zwergperspektive eines Außenseiters. Zur damaligen Zeit werden Zwerge als Gastgeschenk herumgereicht, bei Hochzeiten müssen sie aus einer Pastete springen, oft setzt man sie in ein Bärengehege für einen Schaukampf. Dieser Thomele berichtet als skurriler Außenseiter von den grotesken Abläufen der Festivitäten, von politischen Intrigen und dem tierischen Leitbild des höfischen Gepränges. Bei einem Jagdausflug stürzt der Zwerg vom Pony und verletzt sich schwer, er wird von der Philippine Welser, der Frau mit den schönen Nasenlöchern, gerettet und gepflegt und schließlich in die hintersinnige Welt der Außenseiter eingeführt. Der Hofzwerg wird zum idealen Geschichtsschreiber, weil er sich wie eine lästige Wanze überall Zutritt verschafft und die einzelnen Geheimnisse des Hofes zu einer großen Geschichte verknüpft. Jeannine Meighörners Roman bedient sich einer authentisch derben Sprache, wie sie aus den Chroniken überliefert ist. Die Größenverhältnisse werden auf den Kopf gestellt, was die historischen Ereignisse in einer neuen Dimension zeigt. Letztlich brauchen die Außenseiter des Zeremoniells eine hohe Intelligenz und großes Selbstbewusstsein, um diese Ränkespiele halbwegs zu überleben. "Jede gute Geschichte hat es verdient, ausgeschmückt zu werden." Dieses Tolkien-Zitat hat die Autorin dem Text vorausgestellt und nach diesem Motto einen wunderbaren Roman geformt. Helmuth Schönauer
Serie / Reihe: Haymon Taschenbuch 139
Personen: Meighörner, Jeannine
DR.H Mei
Meighörner, Jeannine:
¬Die¬ Wolkenbraut : das Leben der Philippine Welter ; ein historischer Roman / Jeannine Meighörner. - 1. Aufl. - Innsbruck [u.a.] : Haymon-Verl., 2013. - 214 S. - (Haymon Taschenbuch; 139)
ISBN 978-3-85218-939-0 ca. Eur 9,95
DR.H - Dichtung/Belletristi