Bilderbücher ohne Text verstehen sich von selbst? Wenn sie gut sind: ja! Das beweisen drei Neuerscheinungen. Kompendium des Weltwissens. Spannt sich „Überall Blumen“ vor der Folie des Dualismus Stadt und Natur auf, so ist die Gegenüberstellung im textfreien Sachbuch von Anne-Margot Ramstein und Matthias Aregui Programm. Der Titel „Vorher nachher“ gibt die Lesart der Bilder vor: Die linke Seite bildet zur rechten ein zeitliches Davor. Links eine Eichel, klein mittig auf die Seite gestellt, rechts ein seitenfüllender Eichenbaum. So weit so einfach. Interessant wird das hochwertig gestaltete Buch jedoch zum einen dadurch, dass die Bezüge unterschiedlich große Zeiträume und Umstände betreffen. So etwa, wenn eine intakte mehrstöckige Torte einem einzelnen Stück Torte und krümeligen Resten gegenübersteht. Oder eine Kakaobohne mit einer Tafel Schokolade kontrastiert wird. Zum anderen tauchen Motive an anderer Stelle wieder auf. So etwa der Eichenbaum, der in seinen vier unterschiedlichen jahreszeitlichen Zuständen gezeigt wird. Oder die Torte: Schon zuvor war sie einmal auf der rechten Seite zu sehen. Jetzt steht sie der linken Seite mit Schneebesen, Eiern, Sahne etc. gegenüber – Dinge und Zutaten, die es braucht, um eine solche Torte zu backen. Mal bestehen die Bezüge in einem Werden, mal in einem Vergehen, mal ist es ein langer Herstellungsprozess, der zwischen den Dingen steht, mal ein Zerstörungsprozess. Manchmal reihen sich vier oder mehr Bilder zu einer Sequenz zusammen, dann wieder wird ein einzelnes schon gezeigtes Element in den Mittelpunkt gerückt, um es in einen neuen Zusammenhang zu stellen. Nie wird es langweilig, beide Bilder in Beziehung zu setzen, denn die Leerstellen, die es zu füllen gilt, geben Impulse zum Reflektieren über Zeit und Vergänglichkeit. So werden Überlegungen angestoßen, Fragen, die über das Gezeigte hinausweisen: Warum ist das Einfamilienhaus mit Schaukel im Vordergrund zu einer Ruine geworden? Wie viel Zeit ist wohl vergangen? Welche Geschichte steckt hinter? Die durch die große Formklarheit und das Pantone-Farbspektrum erzeugte Plakatästhetik unterstützt den Sachbuchcharakter. Die zwischen dem Vorher und Nachher angestoßenen Narrationen, die das eigene Gehirnkino in Gang setzen, gehen über die gezeigten Dinge hinaus, was dieses schöne Buch zu einem Kompendium des Weltwissens macht. ag* Sarah Wildeisen Siehe weiters: Anne-Caroline: Pandolfo: Die Tintenspinner Siehe weiters: Jon Arno Lawson: Überall Blumen
Personen: Ramstein, Anne-Margot Aregui, Matthias
JD
Vor
Vorher Nachher / Anne-Margot Ramstein ; Matthias Aregui. - Berlin : Verlagshaus Jacoby & Stuart, 2016. - o. S. a. : überw. Ill.
ISBN 978-3-942787-79-6 fest geb. : ca. Eur 20,60
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