Wird man jemals ein vollständiges Bild davon erhalten, wie Anais wirklich war? Wußte sie denn selbst noch, wo die Wahrheit aufhörte und wo die Lüge anfing in ihrem exhibitionistischen Leben und ihren unzähligen Tagebüchern?
Lügnerin, Neurotikerin, Hysterikerin und weise Frau. Hypersensibel war sie, hyperintelligent, mystisch und geheimnisvoll. Viele berühmte Männer zog sie in ihren Bann, ihre Phantasie schien grenzenlos. Sie war nicht nur die Muse vieler Größen unseres Jahrhunderts, mit ihren Tagebüchern erlangte sie Weltberühmtheit und das Buch Delta der Venus avancierte in kürzester Zeit zu einem Bestseller.
Sie war so echt wie sie künstlich war. Ein wandelndes Paradox, verwickelt in verschiedene amouröse Liebschaften, skandalumwittert, gehaßt und geliebt, immer nah am Abgrund und doch eine Meisterin der Intuition, des Gefühls, der menschlichen Untiefen und des Schreibens.
Als ihre Lieblingswörter nannte sie alle Wörter, die mit "trans-" beginnen: transformieren, transzendieren. Bei aller Selbstinszenierung und Provokation, das faszinierendste dieser Zauberin der Liebesmagie war ihre mystische Kraft, mit der sie schadlos durch die finstersten Labyrinthe der menschlichen Seele wandern konnte, um daraus am Ende als sehr hellsichtiger und weiser Mensch hervorzugehen. Nicht umsonst wurde sie im Alter von ihren Studenten und vielen Lesern auf der ganzen Welt als eine Art Guru verehrt.
Was die Biographie von Deirdre Bair von der Linde Salbers unterscheidet, die ein sehr sonniges Bild von Anais Nin zeichnet, und von der Noel Fitschs, die manchmal zu nüchtern psychoanalysiert, ist, daß sie versucht, hinter den vielen, vielen Schichten des Mythos Anais Nin den Menschen Anais hervorzubringen, indem sie noch viel mehr aus dem "wirklichen" Leben der Jahrhundertmuse erzählt als alle Biographen zuvor. So erfahren wir z.B. Einzelheiten ihrer schweren Krankheit, die ihrem extrem ästhetischen Sinn aufs höchste widersprach und der sie letztendlich erlag, während Anais zu Lebzeiten immer verhindern wollte, daß die Welt einen Blick auf ihre Schattenseiten erhaschte. In ihr Tagebuch schrieb sie: "In mir sind immer zwei Frauen, eine die verzweifelt ist und verwirrt und zu versinken glaubt, und eine andere, die den Menschen nur Schönheit, Anmut und Freude schenken möchte, die in einer Situation auftritt wie auf einer Bühne und ihre wahren Gefühle verbirgt, weil sie nur aus Schwäche bestehen, aus Hilflosigkeit, Hoffnungslosigkeit, was sie vor der Welt mit einem Lächeln verdeckt, mit Tüchtigkeit, Anteilnahme, Enthusiasmus und Interesse." Doch auch wenn es ihr Wunsch war, nur die goldene Seite ihres Wesens zu zeigen, so trägt Deirdre Bair entscheidend dazu bei, Anais Nin als ganzen Menschen zu sehen, sie in ihren Widersprüchlichkeiten zu verstehen und sie dadurch viel leichter oder noch viel inniger ins Herz zu schließen. --Daphne Großmann
Personen: Deirdre Bair
Biografie Schriftstellerin 52
Deirdre Bair:
Anaïs Nin / Deirdre Bair. - 1. - München : Blanvalt Verlag, 1998. - 651
ISBN 978-3-442-72335-5 Geschenk
Biografie - Sachbuch Erw.