Gast auf Erden
Heimat ist eines der wunderschönen deutschen Worte, denen ein besonderer Klang innewohnt und die unsere Gefühle anzusprechen vermögen. Eine Heimat zu haben, ist ein zutiefst menschliches Bedürfnis. In ihm drückt sich der Wunsch nach Nähe, Geborgenheit und Vertrautheit aus. Jeder von uns wird einen Ort benennen können, wo er sich zu Hause fühlt, wo er nicht Fremder ist, sondern wo er angekommen ist und sich angenommen weiß. Das kann ein Ort, eine Region, ein Land oder auch ein Kontinent sein. Aber auch ein Gefühl oder ein bestimmter Geschmack kann uns zur Heimat werden. Es ist daher durchaus sinnvoll, Heimat heute in den Plural zu setzen, und wie wir in dieser Ausgabe, von Heimaten zu sprechen. Das bewahrt uns auch vor einer unguten Verengung des Heimatbegriffs. Denn: Heimat ist längst kein unschuldiges Wort mehr. Es wurde und wird allzu gern missbraucht und dient der Abgrenzung gegenüber dem Fremden und zur Stabilisierung des Eigenen - leider oftmals auf Kosten der Anderen. Die "Trumpisierung" in der Politik, die rücksichtslos den eigenen nationalen Vorteil sucht, kann hier als trauriges Beispiel dienen. Und dass wir ausgerechnet heute wieder so viel von Heimat sprechen, hängt sicher auch mit einer von Vielen empfundenen Verlustangst zusammen. Die Welt scheint gegenwärtig aus den Fugen zu geraten. Der Dreiklang von Klimawandel, Digitalisierung und Globalisierung - mit all den damit verbundenen unabsehbaren Konsequenzen für unser alltägliches Leben - markiert einen epochalen Wandel. Diese Art des Heimatdiskurses erscheint wie das Echo auf eine Verlusterfahrung.
Von Heimat lässt sich aber auch anders erzählen: Sie kann demnach ein Hoffnungs- und Sehnsuchtsbegriff sein, der "allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war" (Ernst Bloch), mit dessen Hilfe wir Ausschau nach einer besseren Welt halten. Diese Art der Heimattopografie hat viel mit uns selbst zu tun. Sie ist eine Lebensweise des Übergangs, aber auch des hoffenden Unterwegsseins. Der Christ als Homo Viator, als Pilger auf dem Weg in sein Vaterhaus. Die Weinbergschnecke auf dem Cover kann hierfu¨r als Symbol dienen: Sie tra¨gt ihr Heim mit sich, im Spa¨therbst zieht sie sich in ihr Haus zuru¨ck und verschließt die O¨ffnung mit einem Deckel. Sobald die Tage im Fru¨hjahr wa¨rmer werden, sprengt sie die Tu¨r auf und kriecht hinaus, la¨sst ihr Haus zuru¨ck und begibt sich auf den Weg. Ist das nicht ein scho¨nes Bild für die Auferstehung? Wir sind eben nur Gast auf Erden .
Medium erhältlich in:
Serie / Reihe: Eulenfisch Limburger Magazin für Religion und Bildung 22
Personen: Ramb, Martin W.
Z/RelPäd/Eul 22/19
Ramb, Martin W.:
Heimat_en - Ausgabe 22/2019. - 1. Auflage. - Limburg/Lahn : Verlag des Bischöflichen Ordinariats, 2019. - 126 Seiten : Farbfotos. - (Eulenfisch Limburger Magazin für Religion und Bildung; 22)
ISBN 978-3-944142-38-8 kartoniert : 7,00 EUR
Magazin Eulenfisch - Zeitschriftenheft