Rez.: Millionen Menschen an den Bildschirmen wurden Zeugen, wie dem smarten Nachrichtenmann und Frauenschwarm Patrick Wallingford während einer Live-Reportage über eine verunglückte Trapezkünstlerin in einem indischen Zirkus die Hand von einem Löwen abgebissen und verspeist wurde. Die fehlende linke Hand des Löwenmanns, wie alle Welt Wallingford fortan nannte, sollte das Leben einiger Menschen drastisch verändern! Mit dieser zarten Reminiszenz an seinen Roman Zirkuskind, meldet sich John Irving, pünktlich zu seinem 60. Geburtstag und nach leichter Talfahrt seiner letzten beiden Romane, mit einer bizarren, hoch erotischen Liebesgroteske voll skurriler, wunderbar gezeichneter Charaktere zurück, die Irving aus seiner schier unerschöpflichen Personalkartei wie aus einem Hut zaubert. Fünf Jahre später sieht Dr. Zajac, der geniale Chirurg und Sonderling (mit einer Zwangsfixierung auf das Einsammeln von Hundekot) seine Chance gekommen, Amerikas erster Handtransplanteur zu werden. Die mysteriöse Doris Clausen vermacht Wallingford die Hand ihres kürzlich verstorbenen Gatten. Zwei schicksalhafte Bedingungen sind für Patrick an dieses Himmelsgeschenk geknüpft: Die kinderlose Witwe fordert ein Besuchsrecht an der Hand ihres dahingeschiedenen Gatten sowie ein Kind von Patrick, wofür sie diesen ohne Umschweife gleich in Dr. Zajacs Praxis in die Pflicht nimmt. Wallingfords Handstumpf wird zur Metapher für einen fürchterlichen Verlust, der zum eigentlichen Lebenssinn führt. Einem Stigmatisierten gleich, zieht Patrick enttäuschte Frauen an, die gleichsam durch ihn den eigenen Phantomschmerz erleben -- selbst in Mary, der Chefin seines Senders, einer toughen aber frustrierten Karrierefrau, beginnt sich längst abgestorben Geglaubtes zu regen. Wallingford jedoch erfährt seine persönliche Erlösung von der Hohlheit und erotischen Haltlosigkeit seines bisherigen Lebens nur noch durch die unerreichbare und geheimnisvolle Doris Clausen und seinen kleinen Sohn Otto. Mrs. Clausen jedoch stellt Wallingford vor einige harte Prüfungen, bevor sie das Geheimnis seiner vierten Hand lüftet. Vordergründig eine Farce, vermittelt Irvings zehntes Werk tiefe Einsichten in die wahren Werte des Lebens und ist im wahrsten Sinne -- man gestatte das Wort -- herzerwärmend. --Ravi Unger
Personen: Irving, John
Irv
Irving, John:
¬Die¬ vierte Hand. - 2. Aufl. - s.l. : Diogenes, 2002. - 438 S.
ISBN 978-3-257-06303-5 fest geb.
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