1. Die im christlichen Glauben wahr und ernst genommene universale Lebenszusage Gottes verpflichtet zu einer umfassenden Sorgfalt gegenüber allen Varianten geschöpflicher Existenz in ihrem Dasein und Sosein. Das gilt insbesondere auch für den Menschen und alle Stadien menschlicher Existenz unter Einschluss von Zeugung, Schwangerschaft, Geburt, Leben und Sterben. Es gibt kein lebensunwertes Leben. 2. Verantwortung für das Leben heißt Leiden mindern, Leben erhalten und Leben gestalten. Dabei ist der medizinisch-technische Eingriff unerlässlich. 3. Allerdings sind die Methoden des Eingriffs, das Risiko und die Wahrscheinlichkeit des beabsichtigten Erfolgs sorgfältig zu prüfen. Der Mensch als Patient darf nicht Mittel zum Zweck werden, auch nicht zum Zweck der Heilung Dritter. Jeder medizinisch-technische Eingriff steht unter der Verpflichtung, die Heilungschancen für den direkt Betroffenen zu erhöhen. 4. Im Falle der Fortpflanzungsmedizin ist bei allen Formen des Eingriffs (Laborbefruchtung, Präimplantationsdiagnostik, Keimbahntherapie, Klontechnik zur Herstellung genetisch identischer Gewebe und Organe mittels Stammzellen) vom humanen Status des Embryos (ab Verschmelzung von Samen und Eizelle) auszugehen. Der Embryo entwickelt sich nicht zum Menschen, sondern als Mensch. 5. Da die Präimplantationsdiagnostik untrennbar mit eugenischen Absichten verbunden ist und in der Praxis auch kaum auf einen engen Kreis sog. schwerer Fälle beschränk werden kann, ist ihre Anwendung - auch in begrenzten Fällen - nicht zu verantworten. Demgegenüber muss die Solidarität mit den Behinderten im Vordergrund stehen. Diese Einschränkungen bedeuten nicht Ablehnung einer im Einzelfall umsichtig gehandhabten pränatalen Diagnostik. 6. Die öffentliche Einrede gesellschaftlicher Gruppen kann die Fortpflanzungsmedizin veranlassen, ihre Methoden zu überdenken und Wege zu finden, die möglichst wenig beschädigend und manipulierend sind. Es geht nicht um Behinderung des medizinischen Fortschritts, sondern um die Orientierung auf eine sozial sensibilisierte Medizin, die gegenüber Erkenntnis- und Wirtschaftsinteressen kritisch ist. 7. Die Absicht, Menschen zu klonen, stellt eine verwerfliche Festlegung kommender Generationen dar. Das therapeutische Klonen (zur Herstellung genetisch identischer Gewebe und Organe) ist, wenn es auf Gewebe- und Organersatz ausgerichtet ist und keine menschlichen Keime in Anspruch nimmt, eine biotechnische Methode, die der weiteren Erörterung bedarf. 8. Menschenzüchtung, die gezielt verändernd mit der Keimbahntherapie über die Vorfindlichkeit menschlicher Existenz hinausgreift und die genetische Realisierung neuer Eigenschaften anstrebt, verstößt gegen die Menschenwürde. 9. Der christliche Standpunkt ist maximalistisch im Sinne der Ablehnung eugenischer Prävention sowie jeglicher Ausbeutung der Keimbahn. Darin trifft er sich mit der Position der Behinderten und auch mit den Positionen all derer, die sich auf die im Grundgesetz verbürgte Menschenwürde beziehen. 10. Nur im öffentlichen Diskurs können unterschiedliche Auffassungen im Blick auf die in der Fortpflanzungsmedizin zu regelnden Grenzen zusammengeführt werden. Dazu bedarf es neuer Einrichtungen: Volks-Enquete-Kommissionen, Bundesethik-Kommission, Dritte Kammer, Volksbefragung. 11. Die Tatsache, dass Leben in der Perspektive des christlichen Glaubens nicht gemacht, sondern eröffnet und anvertraut wird und somit unter einer besonderen Fürsorge und Erhaltungspflicht steht, macht die Botschaft der christlichen Kirchen in der säkularen Gesellschaft von heute unverzichtbar. Die Gesellschaft fragt nicht nach dieser Botschaft, aber sie wäre unendlich ärmer und ungeschützter, wenn diese Botschaft nicht mehr ausgerichtet würde.
Personen: Altner, Günter
Altner, Günter:
Evangelische Theologie: Ethik der Ausgrenzung und Ethik der universalen Lebenszusage : Gegensätze zwischen utilitaristischer und theologischer Ethik / Günter Altner. - 61, 2001. - S.94-109
Einheitssacht.: Menschenwürde und biotechnischer Fortschritt im Horizont theologischer und sozialethischer Erwägungen