In einer umfangreichen Bibliothek stillt das Waisenmädchen Polly nicht nur ihren unbändigen Lesedurst, die Welt der Literatur wird ihr auch eine große Hilfe bei der Bewältigung von Schicksalsschlägen. (DR) Yorkshire 1904: Das sechsjährige Waisenmädchen Polly Flint wird bei ihren beiden Tanten abgegeben. Sie war schon bei einigen Pflegeeltern untergebracht, nun findet sie bei Aunt Mary und Aunt Frances Geborgenheit, wenn auch keine allzu große emotionale Wärme. Als sie die umfangreiche Bibliothek des Großvaters für sich entdeckt, tut sich eine faszinierende Welt auf und sie wird zur leidenschaftlichen Leserin. Als junges Mädchen lebt sie eine Zeitlang bei einem älteren aristokratischen Verwandten und kommt mit der englischen Oberschicht in Kontakt. Außerdem ist sie gern gesehener Gast bei den Zeits, einer jüdischen Industriellenfamilie. Sie verliebt sich leidenschaftlich in Theo Zeit, der ihre Liebe erwidert, aber dennoch eine andere heiratet. Polly versinkt immer tiefer in eine Depression, bis ihr das resolute Hausmädchen Alice mit einem überraschenden Vorschlag eine neue Perspektive eröffnet. Mit Polly Flint hat Jane Gardam eine eigenwillige Figur zum Leben erweckt, der die Vertrautheit mit den großen Gestalten der Weltliteratur einen Background verschafft, der sie nicht vor Enttäuschungen bewahrt, ihr aber nützliche Strategien zu deren Bewältigung an die Hand gibt. Dem Klischee, dass es sich beim Lesen nur um einen romantischen Zeitvertreib handelt, wird eine klare Absage erteilt. Der Titel des Romans bezieht sich auf Pollys Lieblingsbuch, Defoes "Robinson Crusoe". Sie liest es immer wieder und übersetzt es später ins Deutsche. Tatsächlich gibt es einige Parallelen zwischen Robinson und Polly. So wie ihr Romanheld wurde sie gewissermaßen an einen einsamen Strand gespült, wenngleich die windumtoste Küste Yorkshires natürlich nicht mit Robinsons unbewohnter Insel zu vergleichen ist. Es ist wohl mehr ein Gefühl der Einsamkeit, das sie mit ihm teilt, sowie den festen Willen, sich zu behaupten. Der vielschichtige und unkonventionelle Roman, der ja auch eine Reverenz an die Literatur (und Bibliotheken!) ist, sollte wirklich in allen Bibliotheken verfügbar sein.
Personen: Bogdan, Isabel Gardam, Jane
Gardam, Jane:
Robinsons Tochter : Roman / Jane Gardam. Aus dem Engl. von Isabel Bogdan. - München : Hanser, 2020. - 316 S.
ISBN 978-3-446-26783-1 fest geb. : Euro 24,00
Schöne Literatur - Signatur: Garda - Buch