Amazon.deSeit Tolstoi wissen wir, dass alle glücklichen Familien einander gleichen, jede unglücklich e Familie jedoch in ihrem Unglück einzigartig ist. Seltsamerweise findet sich in Stephen L. Carters hoch gepriesenem Erstlingsroman Schachmatt keinerlei Anspielung auf den russischen Romancier, obwohl im Mittelpunkt des 800 seitenstarken Buches das unglückliche Schicksal einer Familie aus der wohlha benden schwarzen Oberschicht der amerikanischen Ostküste steht, der noch dazu in auffälliger Weise m it literarischen Verweisen und Zitaten aller Art gespickt ist. Weil aus diesem Soziotop äußerst selt en reale oder fiktionale Dokumentationen zu haben sind, reagierten die amerikanischen Medien und Kri tiker äußerst enthusiastisch auf Carters Roman -- und Carters Verleger Knopf zahlte die Rekordsumme von 4,2 Millionen Dollar für Schachmatt und seinen potenziellen Nachfolger.
Dabei investierte der V erlag weniger in die literarischen Qualitäten des Romans als vielmehr in den Bekanntheitsgrad seines Autors: Carter ist nicht nur Rechtsprofessor an der Elite-Universität Yale, sondern auch Verfasser von mehreren einflussreichen Büchern zum Problem des Rassismus in der amerikanischen Rechtsgeschicht e. Und selbst nicht-amerikanische Leser werden schnell merken, wie sehr dieser reale Hintergrund die Fiktion beeinflusst. Carter ist natürlich kein Einzelfall eines schreibenden Advokaten -- Alan Ders howitz und Bernhard Schlink haben auf ihre Weise hier Zeichen gesetzt. Der Unterschied liegt darin, dass Carter zugleich spannend und problembewusst sein möchte, was dazu führt, dass Schachmatt zwei B ücher präsentiert, die nicht zueinander finden.
Am Anfang steht der Tod von Oliver Garland, Bundesr ichter und Patriarch einer weit verzweigten Familie. Richter Garlands konservative Überzeugungen ver störten nicht nur seine schwarzen Freunde, sondern führten auch in seiner Familie zu Verwerfungen. I m Mittelpunkt steht Talcott "Misha" Garland, der jüngste Sohn des Richters, der offensichtlich von d iesem vor seinem Tod auserkoren wurde, das weitere Schicksal der Familie zu bestimmen. Richter Garla nd war ebenso kontrovers wie konservativ, ein depressiver Alkoholiker mit Verbindungen zu den höchst en Kreisen Washingtons, dessen Karriere als schwarzer Jurist und Politiker dem weißen Rassismus zum Opfer fiel. Sein Sohn Misha wird auf der Beerdigung seines Vaters von Jack Ziegler bedroht, einem Un terweltboss, dessen Freundschaft mit dem älteren Garland diesen um die mögliche Berufung zum oberste n Gerichtshof der Vereinigten Staaten brachten. Gegen seinen Willen wird Misha in die Jagd nach der brisanten Hinterlassenschaft seines Vaters hineingezogen -- was nicht nur seinen Job und seine Famil ie, sondern auch sein Leben in höchste Gefahr bringt.
Die überaus spannende Konstruktion der Geschi chte hält die Leser auch dann noch in ihrem Bann, wenn Carter seine ausgedehnten Exkurse zum Rassism us der amerikanischen Gesellschaft, aber auch zur Literatur, zum Sport und zum Schachspiel einflecht et. Im Ganzen leidet Carters Roman unter der unleugbaren Ambition seines Autoren, alles richtig zu m achen: zu smart, um spannend zu sein, aber auch wieder spannend genug, um seine Formelhaftigkeit zu ertragen. --Peter Schneck1
Personen: Carter, Stephen L.
CAR
Carter, Stephen L.:
Schachmatt. Roman. - 2. Auflage, - München : List, 2002. - 800 S.
ISBN 978-3-471-77256-0 0.00
SL - Buch