Ein kleines Gesamtkunstwerk, das mit Spannung, subtilem Horror und eindringlichen Illustrationen von Jon Klassen noch lange nachwirkt. (ab 12) (JE) Steve hat einen Bruder bekommen. Damit käme er durchaus zurecht, doch das Baby wurde mit einem Gendefekt geboren und kämpft ums Überleben. Da hat Steve einen seltsamen Traum: Eine riesige Wespenkönigin steht an seinem Bett und bietet ihm an, der Familie zu helfen. Und wer würde nicht ein gesundes Baby haben wollen anstelle eines kleinen Wesens, das sein Leben lang mit Beeinträchtigungen zu kämpfen haben wird? Zu spät bemerkt Steve, was hinter dem Angebot der Wespenkönigin steckt, aber er setzt alles daran, das Leben seines Bruders zu retten. Sehr subtil geht Kenneth Oppel hier der Frage nach, wie weit der Wunsch nach Perfektion legitim ist und wie weit man dabei gehen darf. Steve selbst ist alles andere als perfekt - er leidet unter verschiedenen Zwangsstörungen und hat eine Wespenallergie (sehr unpraktisch, wenn man sich gleich mit einem ganzen Wespenvolk anlegt). Und dann sind da noch die Alpträume von einem unheimlichen Mann, der ihn vom Fußende seines Bettes aus belauert. Anders als seine Schwester kann Steve anfangs keine echte Beziehung zu seinem neugeborenen Bruder aufbauen. Die Eltern sind mit dem Kleinen immer wieder im Krankenhaus, der Druck entlädt sich in Streit und sie schaffen es nicht, ihren Erstgeborenen einzubeziehen. Doch Steve registriert sehr wohl die Angst und den Kummer der Eltern. Und so erscheint ihm das Angebot der Wespenkönigin anfangs wie ein Geschenk des Himmels und er hält die Traumgestalt folgerichtig beim ersten Mal auch für einen Engel. Dann wird Steve nach dem Namen seines Bruders gefragt, der bis dahin immer nur "das Baby" ist. Mit dem Aussprechen des Namens ändert sich die Beziehung zum kleinen Bruder und er beginnt, bis zur letzten Konsequenz um ihn zu kämpfen. Von der ersten Seite weg geht eine unheimliche Atmosphäre von dem Buch aus, der man sich nicht mehr entziehen kann. Es lässt sich auf der Oberfläche als eine unglaublich spannende Geschichte lesen. Man kann sich aber auch auf die Frage einlassen, wie weit das Streben nach körperlicher Perfektion ethisch vertretbar ist und wie weit Gentechnik (=Wespenkönigin) hier eingreifen darf. Dass der für seine humorvollen Bilderbücher ausgezeichnete Jon Klassen die intensiven Schwarzweißzeichnungen beigesteuert hat, sollte nicht dazu verleiten, das Buch zu jungen LeserInnen anzubieten. Dafür kann es aber auch allen Erwachsenen wärmstens empfohlen werden. *bn* Anita Ruckerbauer
Altersempfehlung: ab 11 Jahren.
Personen: Oppel, Kenneth Klassen, Jon Komina, Jessika Knuffinke, Sandra
Oppe
Oppel, Kenneth:
¬Das¬ Nest / Kenneth Oppel. Mit Ill. von Jon Klassen. Aus dem Amerikan. von Jessika Komina und Sandra Knuffinke. - Hamburg : Dressler, 2016. - 217 S. : Ill.
ISBN 978-3-7915-0005-8 fest geb. : EUR 12,99
Phantastische Geschichten - Buch