Cabré, Jaume
Die Stimmen des Flusses Roman
Buch

Roman über das verflochtene Schicksal von Menschen eines Pyrenäendorfes, die im spanischen Bürgerkrieg zu Feinden und Liebenden wurden, und die Auswirkungen dieser Zeit auf die Gegenwart


Rezension

Was vor 60 Jahren im abgelegenen fiktiven Pyrenäendorf Torena geschah, als der Bürgerkrieg vorbei war und die Franco-Diktatur sich etablierte, treibt die junge Lehrerin Tina um, die hinter einer Schultafel die versteckten Briefe des damaligen Dorflehrers Oriol findet, die dieser an seine vermeintliche Tochter schrieb. In diesen Briefen erklärt er, dass er kein Feigling und kein Falangist war, wie alle glaubten, sondern heimlich den antifranquistischen Widerstand unterstützte. Der fast 700 Seiten starke, groß angelegte Roman leuchtet die dramatischen Beziehungen und Ereignisse der Vergangenheit eines kleinen Dorfes aus, in dem die Menschen zu erbitterten Todfeinden und leidenschaftlich Liebenden wurden. Er spielt zugleich auch in Tinas Gegenwart des beginnenden 21.Jahrhunderts, wo sie es auch mit den Nachkommen aus dieser Zeit zu tun bekommt. Verstört durch die Briefe versucht sie der Wahrheit der damaligen Geschehnisse auf die Spur zu kommen, eine lebensgefährliche Spurensuche. Im Mittelpunkt des Geschehens stehen Elisenda, die schöne, kluge, geschäftstüchtige Gutsherrin als Verkörperung der wirtschaftlichen und politischen Macht, der brutale Bürgermeister Valenti Tarda, der einen 14jährigen Jungen erschießen lässt, Oriol, der Dorflehrer, dessen Frau ihn verlässt, weil sie seine vermeintliche Feigheit gegenüber den Faschisten angesichts dieses Mordes nicht erträgt. Vater und Bruder Elisendas waren von Anarchisten grausam getötet worden und sie sinnt auf Rache. Oriol und Elisenda lieben einander heimlich, obwohl sie politisch nicht weiter entfernt voneinander sein könnten. Nach seinem Tod, dessen Umstände bis zum Schluss für den Leser rätselhaft bleiben, will Elisenda ihn als Märtyrer heilig sprechen lassen. Das Faszinierende an diesem Roman ist neben der Thematik das kunstvolle Erzählprinzip Cabres. Immer wieder vor- und zurückblendend webt er einen Stoff, der nur allmählich zum Vorschein kommen lässt, was alles geschah. Innerhalb eines Dialogs, manchmal sogar innerhalb eines Satzes hüpft die Geschichte über Jahrzehnte hin und her. Das klingt verwirrend, aber das Erstaunliche ist, dass dem Leser immer klar ist, worum es gerade geht. Diese grandios gelungene Montagetechnik erhält die Spannung bis zum Ende aufrecht, denn erst ganz zuletzt erfährt der Leser, was am 18.10.1944 passierte. Mehr sei hier nicht verraten, es ist auf jeden Fall ein Buch, das man nicht nur einmal lesen möchte. Cabre ist in 7-jähriger Arbeit ein Werk gelungen, das nicht nur keinen Augenblick langweilig ist, sondern zudem Erkenntnisse über eine Zeit zu Tage fördert, mit der Spanien erst beginnt sich auseinanderzusetzen. Hass, Mord, Rache, die Macht des Geldes, die Position der Kirche in Bürgerkrieg und Diktatur, Geschichtsfälschung und die Liebe sind die Themen dieses sehr poetischen und politischen Romans eines der am meisten anerkannten katalanischen Autoren der Gegenwart. Die Übersetzung aus dem Katalanischen von Kirsten Brandt wird als vorzüglich gewertet.

Uneingeschränkt und äußerst begeistert empfehle ich diesen Roman als einen der besten Bücher, die ich seit langem lesen durfte, und somit als unbedingtes Muss für alle Büchereien und für alle anspruchsvollen LeserInnen.

Rezensent: Marlies Selbach-Götting


Personen: Cabré, Jaume

Schlagwörter: 20. Jh. Spanien Diktatur

Cabré, Jaume:
Die Stimmen des Flusses : Roman / Jaume Cabré. Dt. von Kirsten Brandt. - 1. Aufl. - Frankfurt am Main : Insel, 2007. - 666 S. ; 21 cm. - Aus d. Katalan.
ISBN 978-3-458-17363-2 geb. : EUR 22.80

Zugangsnummer: 0002/2489
Romane, Erzählungen, Dramen, Lyrik, Sammlungen - Buch