Rezension
Begründung für die Nicht-Empfehlung Am Gründonnerstag 2007 war in den Aachener Nachrichten der Brief eines Lesers aus Kreuzau (kleiner Ort mit fast ausschließlich katholischer Bevölkerung in der Nordeifel) abgedruckt. Der Schreiber geht auf Überlegungen der Kirche zu neuen Gottesdienstzeiten ein und vertritt dabei die Auffassung, auch eine Verlegung der Gottesdienste auf den Nachmittag sei nur "alter Wein in neuen Schläuchen". Der Schwund werde weiter gehen. Er sieht den Grund für das Fernbleiben im Grundsätzlichen: "Als Kind wurde ich mit religiösen Wahrheiten zugepflastert, als Kind konnte ich dazu nichts sagen, weil ein Kind alles glaubt. Mit dem Erwachsenwerden nehmen die Kenntnisse und das eigenständige Denken zu. Schert man sich um religiöse Fragen nicht oder steht auf dem Standpunkt, dass das immer schon so gewesen ist und dass das die Eltern bereits geglaubt haben und damit basta, macht man es sich sehr einfach. Denkt man aber über seine Religion nach, bekommt man Probleme. Diese Probleme sind so alt wie die Kirche selbst und haben immer wieder zu Abspaltungen geführt." Die Religionspädagogik versucht seit Jahrzehnten, Kinder nicht "mit religiösen Wahrheiten zuzupflastern", sondern unter Berücksichtigung von theologischen, pädagogischen, psychologischen, soziologischen und politischen Forschungsergebnissen Kinder mit Religion, Religionen und Kirche vertraut zu machen und sie zu mündigen Christen zu erziehen. Kein anderes Schulfach verfügt über eine solche Fülle von schulpraktischen und theoretischen Veröffentlichungen wie das Fach Religion. Kein anderes Schulfach darf nur mit einer zusätzlichen besonderen Lehrbefähigung erteilt werden außer Religion. Und dennoch haben es Religionslehrer (wie auch Pfarrer und Eltern) aus verschiedenen Gründen nicht leicht mit der religiösen Erziehung der nächsten Generation. Ein Grund liegt m.E .in der Verbreitung religiösen Schrifttums, das nicht dem Standard dessen, was heute gewusst sein kann, entspricht oder was diesem Standard möglicher Weise bewusst zuwider handelt, in dem es in einer säkularisierten Gesellschaft in evangelikaler Absicht missioniert. Dazu zähle ich dieses aus meiner Sicht völlig überflüssige Bilderbuch, das Kinder (und religiös indifferente Erwachsene) in unzulässiger Weise mit biblischen Geschichten "zutextet" und mit fragwürdiger Illustration konfrontiert. Es gilt aber im Gegenteil: Auch im Bereich von religiöser und ästhetischer Erziehung sollte Kindern nie etwas vorgegeben werden, das später zurückgenommen oder korrigiert werden muss. Das vorliegende Bilderbuch entspricht in punkto Textauswahl und -gestaltung wie auch in künstlerischer Hinsicht dieser Anforderung nicht. "Mein erstes Bilderbuch von Jesus" enthält zwanzig neutestamentliche Texte, die im Stil eines Lebenslaufes Jesu zusammengestellt sind. Auf Einzel- und Doppelseiten werden Stationen dieses (konstruierten) Lebenslaufs von der Geburt über Taufe, Jüngerberufung, Bergpredigt, Wunder, Einzug in Jerusalem, Kreuzigung, Auferstehung und Erscheinung des Auferstandenen festgelegt. In zumeist greller oder unpassender Farbkombination, verwirrender Mischtechnik und stilisierter Formgebung sind Menschen in dreieckiger Bekleidung, starrer Körperhaltung und schwer nachvollziehbaren Bewegungsabläufen zu sehen. Die Bilder wirken skuril, kindertümelnd und überladen. So ist z.B. jedes Bild weiß gerahmt, zusätzlich gibt es dann noch einen gemusterten Rahmen, dessen Gestaltung nicht einleuchtet (Oliven beim Bild der Heilung des Gichtbrüchigen / Blümchentapete bei der Bergpredigt / Töpferware im Jairus-Haus). Jesus als Jüngling mit schwarzem Haar, Schnurr- und Backenbart sowie weißem Dreiecksgewand mit blauer Schärpe legt Kinder in ihrer Vorstellung fest, statt dass sie angeregt werden, ihre eigenen Vorstellungen entwickeln zu können, z.B. durch Malen gehörter Geschichten. Ein jeweils dreizeiliger Text enthält die gekürzte Perikope als Unterschrift oder Erklärung zum Dargestellten. Auf den Gesamttext wird am Schluss des Buches mit biblischer Fundstelle verwiesen "für alle, die ihren Kindern die einzelnen Geschichten noch einmal ausführlich nacherzählen wollen." So gesehen wendet sich das Bilderbuch doch wohl vorrangig an kleine Kinder und ihre Eltern, also in der Regel an "Laien", die vermutlich im Umgang mit theologisch "kompakten" biblischen Texten nicht geübt und deshalb dem evangelikalen Konzept auch unter Hinweis auf die Bibel ausgeliefert bleiben. Neben dem sorglosen Zusammenfügen von biblischen Texten verschiedenster Gattungen, aus unterschiedlichen Zeiten - gleich versehen mit einer interpretierenden Aussage - ist vor allem die Konzentration auf Wundergeschichten kritisch zu sehen. Auffallend ist, dass die die Wunderhandlungen begleitenden Aussagen Jesu über den Glauben systematisch weggelassen worden sind. So können die Wunder - eingeordnet in den Lebenslauf Jesu - als historische Tatsachen ausgegeben werden, die die Besonderheit Jesu ausdrücken und geglaubt werden sollen. Mit zunehmendem Kritikvermögen distanzieren sich spätestens Pubertierende von einem solchen Wundertäter (siehe Leserbriefschreiber Gründonnerstag 2007). Es würde hier zu weit führen, tiefer in die Theologie der biblischen Wundererzählungen einzudringen. Ich zitiere deshalb kurz Sigurd Daecke in "Theologie für Nichttheologen" (Stuttgart 1966), Stichwort Wunder Seite 388: "Wer als erstes die Frage stellt, ob die Wunder Jesu historische Tatsachen sind und ob sie sich wirklich so ereignet haben, wie sie im Neuen Testament berichtet werden, der hat noch nicht verstanden, dass die Evangelien keine historischen Protokolle, keine Dokumentarberichte sind, sondern Predigten, Verkündigung des durch Jesus sich ereignenden Heils der in seinen Worten und Taten angebrochenen Heilszeit." Das ist kleinen Kindern schwer vermittelbar. Aus diesem Grunde wird seit Jahren im Grundschul-Religionsunterricht vermieden, Wundergeschichten in den Mittelpunkt zu stellen. Zunächst müssen Kinder lernen, Gesagtes und Gemeintes in biblischen Texten unterscheiden zu lernen, was sich am ehesten durch die Behandlung von einfachen Gleichnissen (parallel zur Fabel im Deutschunterricht) anbahnen lässt. Später werden sie im Unterricht erfahren, dass die Wunder Jesu nicht einmalig und ohne Analogie sind: Wunderheilungen, Naturwunder, Jungfrauengeburt, Himmelfahrt haben zahlreiche überraschende Parallelen in fast allen Religionen. Es zeigt sich, dass das Wunder in der Antike ein verbreitetes Motiv des Mythos und der Legende war. Wenn nun auch die Verfasser des Neuen Testamens von Wundern schreiben und sie mit Jesus in Verbindung bringen, ist das ein in damaligen Zeit üblicher Vorgang. In besonders anschaulicher Weise wird dadurch verdeutlicht, dass mit Jesus die Heilszeit begonnen hat. Es handelt sich bei den Wundererzählungen also um eine zeitgebundene Textgattung, um eine Art Predigt, die damals als solche verstanden wurde, heute jedoch einer Interpretation bedarf, die mit kleinen Kindern noch nicht zu leisten ist. Ohne Interpretation bleibt es beim Wundertäter, den alle Religionen zu bieten hatten und der christliche Nachfolge Jesu nicht begründen kann.
Ich kann die Anschaffung dieses Bilderbuches in evangelischen Büchereien nicht empfehlen.Personen: Wickenden, Nadine James, Bethan
Mein erstes Bilderbuch von Jesus / Bethan James. Ill. von Nadine Wickenden. - Limburg : Lahn Verl., 2007. - o.Pag.: überw. Ill. ; 28 cm
ISBN 978-3-7840-3388-4 geb. : EUR 9.90
Christlicher Glaube - Signatur: Jc Mei - Buch