Zeitgeschichte "von unten" - Lebenserinnerungen einer norddeutschen Frau, geboren 1891 in ärmsten Verhältnissen.
Rezension
Mit fünf Jahren vermietet zur Arbeit, mit 13 von der Schule weg, um auf acht Geschwister in zwei Räumen aufzupassen - so beginnt das Leben von Jule Andersen, Jahrgang 1891. Als sie 72 war, begann Theodor Buhl, mit dem Tonband, dem "Klöterkasten" 12 Jahre hindurch, ihre Lebensgeschichte aufzuzeichnen. Sie erzählt unsentimental und lebendig: "das Leben ist eben so", "die Männer sind eben so". Sie lernt sich zu wehren. Kriegszeiten, Zimmervermietung an "anständige Offiziere", Hungertyphus, Wohlstand, Gerichtsvollzieher - sie hat viel erlebt und gesehen. In ihrer Umgangssprache - oft plattdeutsch - die Buhl ihr bei seiner umsichtigen Zusammenstellung gelassen hat, wirkt vieles noch authentischer und drastischer, ganz egal ob "Dreiklang-Ehe" oder "Götterfraß von Butt und Aal". Auch die für diese Generation typischen Vorurteile formuliert sie gegenüber Kommunismus, Ostpolitik und dem "Geschrei zum § 218". Die Urfassung des Buches lobte Heinrich Böll als "unverstellt und spannend".
Damit es nicht verloren geht - empfohlen als sehr gut lesbares zeitgeschichtliches Dokument. Gehört in eine Reihe mit Anna Wimschneiders "Herbstmilch".Rezensent: Delia Ehrenheim-Schmidt
Personen: Buhl, Theodor
Buhl, Theodor:
Winterkorn : Die Lebenserinnerungen der Jule Andersen / Theodor Buhl. - Reinbek : Kindler, 2012. - 203 S. ; 21 cm
ISBN 978-3-463-40637-4 geb. : EUR 17.95
Lebensbilder, Briefe und Tagebücher einzelner Personen - Buch