ab 10 J.
Auf den ersten Blick ist die Aufmachung mit chaotisch gezeichneten Bildern in rosa und hellblau nicht direkt ansprechend ? aber auffällig. Und Letzteres ist gut so, denn Franca Düwel legt mit ihrem ersten Roman, zugleich Auftakt einer Serie, eine großartig durchdachte und noch besser geschriebene Geschichte vor, der man so viele Leser und Leserinnen wünschen möchte wie nur möglich. "Getarnt" ist die Geschichte als Tagebuch einer 12-Jährigen, Julie, und das nicht nur als Textgattung, sondern auch in der Optik. Das zeigt sich zum Beispiel im Druck, wo Wichtiges schon mal fett oder besonders fett geschrieben ist oder in einem anderen auffälligen Font, durchgestrichen, hochgesetzt und so weiter. Dazwischen wie von Hand gezeichnet Figuren und Männekes, wie man sie schon mal auf der Ablage malt oder in langweiligen Schulstunden. Alles zusammen erweckt den Eindruck von Authentizität, obwohl der nichts retten könnte, wäre der Text selbst nicht wo einmalig zu lesen. Julie hat zwar in weiten Teilen einen ganz normalen Teenie-Alltag, aber eine Reihe von Krisen geht doch über das Normalmaß hinaus und ist von ihr auch nur schwer zu bewältigen. Schwer vor allem deshalb, weil ihre frisch geborene Schwester (die sie bei sich "Ottilie" nennt) Schuld ist an den postnatalen massiven Depressionen der Mutter. Die liegt den ganzen Tag weinend im Bett, während dem Vater der Spagat zwischen Babyversorger, Ehefrautröster und Werbefachmann immer schlechter gelingt, von seiner Vaterrolle Julie gegenüber ganz zu schweigen. Dabei gibt es in Julies Leben einiges, wobei sie dringend Rat bräuchte. In der Schule läuft es zwischen Hanna, der besten Freundin, und ihr nicht mehr so toll, seit Scharina zur Klasse gestoßen ist, die Hanna aus der Grundschule kennt. Geheimnisvolle Andeutungen Hannas über eine schlimme Tat Scharinas drängen diese schnell in eine Außenseiterrolle, schon gar als das Gerücht geht, dass Scharina lesbisch sei (weil sie Jungenunterhosen trägt) und auf Julie stehe. Als wäre das nicht schlimm genug für Julie, verliebt sie sich auch noch in Ben, und der scheint ihre Gefühle zu erwidern, obwohl er Julie in ihrem alten Ponynachthemd gesehen hat. Aber hat es zwischen den beiden angefangen, ist es auch schon vorbei, dank Hanna, und die entwickelt sich schnell von der besten Freundin zur besten Feindin. In all dem Chaos in Schule und Familie ist Julie dennoch fest entschlossen, sich als Familienstütze zu erweisen und die Probleme zu meistern. Als sie aber erkennen muss, dass Scharina ganz andere Probleme hat als lesbisch zu sein und zu Hause von ihrem Bruder misshandelt wird, während der Vater auf und davon ist und die Mutter in einer weit entfernten Stadt Geld verdienen muss, erkennt sie, dass es nicht möglich ist, diese Probleme allein zu lösen. Das Erstaunliche an der Geschichte: Bei allem Reichtum an Problemen und unerfreulichen Schwierigkeiten gelingt Franca Düwel ein unglaublich witziger Tagebuchroman, sodass der Leser oftmals lauthals über die köstlich unschuldig beschriebenen Probleme lachen muss. Das setzt sich fort, als Julie erkennt, dass sie Hilfe von außen braucht ? und die findet sie, in Erinnerung an die Werbung in den Medien ? ausgerechnet bei der Telefon-Sexhotline. Schließlich müssen die sich doch auskennen, vor allem werden sie ihr raten können, wie das nun mit Ben weiergehen soll. Schließlich kann sie die Eltern nicht fragen, die Mutter weint immer noch und kocht Nudeln mit Maggi und der Vater verliert den Überblick und langsam auch den Verstand. Julie hat Glück und gerät bei der Hotline an Sharon mit der ungewöhnlich tiefen, verständnisvollen Stimme, und immer öfter ruft sie da an um sich Rat von Frau zu Frau zu holen. Das geht so lange gut, bis am Ende des Monats die Telefonrechnung kommt und Mutter ihren Ehemann kurzerhand vor die Tür setzt angesichts seines Bedürfnisses für häufige Sexgespräche und von Scheidung die Rede ist. Gottseidank fühlt Sharon sich verpflichtet, endlich einzugreifen, als Julie ihr die Geschichte mit der misshandelten Freundin erzählt, und taucht bei der Familie auf. Da klärt sich denn auch das mit der tiefen Stimme… Ein turbulenter, handlungsreicher Roman, so viele Aspekte des Teenagerdaseins einfängt, sie auslotet, Probleme thematisiert und Lösungen anbietet, die zwar ungewöhnlich sind, aber zu der Erkenntnis führen, dass es Lösungen auch in aussichtloser Lage geben kann. Julie hat eindeutig Vorbildcharakter, auch wenn sie selbst das gar nicht so sieht. Ein wundervoll zu lesender Roman: hilfreich für alle, die in Nöten sind, amüsant für alle, die das mit Abstand lesen können. Eine tolle Geschichte. Lesen! *Alliteratus* Astrid van Nahl
Personen: Düwel, Franca Spitzer, Katja
Standort: Elsbethen
Düwel, Franca:
Julie und Schneewittchen : schlimmer geht's immer / Franca Düwel. Mit Ill. von Katja Spitzer. - 1. - Würzburg : Arena, 2009. - 277 S. : Ill.
ISBN 978-3-401-06407-9 fest geb. : Eur 13,40
Erzählungen - Signatur: JE DÜWE - Buch: KuJ-Belletrist