„Leo hat einen schönen neuen Namen: Jennifer.“ So beginnt Franz Orghandls „Der Katze ist es ganz egal“. Ein Satz, in dem beinahe die ganze dann folgende Geschichte zu erkennen ist. Leo, würde ich meinen, ist ein Name, dem jedes Geschlecht zugeordnet werden kann, Jennifer hingegen scheint ein WEIBLICHER Vorname zu sein. Dass dies ein schöner Name ist, soll lenken, nämlich die Leser*in dahin, dass das, was gleich erzählt wird, gut und genau so richtig ist. Leo lebt mit seiner Familie in Wien, so wie seine Großeltern auch, und bald bekommt Leo ein Geschwisterchen. Alle behaupten, Leo werde dann ein großer Bruder. Aber eigentlich fühlt sich Leo gar nicht wie der Leo, den alle in ihm sehen. Leo ist Jennifer, ein Mädchen. Die Diskrepanz zwischen Fremd- und Selbstwahrnehmung macht Orghandl sprachlich wunderbar deutlich, indem sie manchmal Leo sprechen lässt und manchmal Jennifer. In der Familie ist es zunächst zumeist Leo, weil seine Eltern und Großeltern nicht gleich verstehen können, warum Leo jetzt Jennifer ist. Jennifers Freund*innen hingegen verstehen die Aufregung nicht, warum Leo nicht Jennifer sein darf, denn Leo ist Jennifer und eben nicht Leo. Franz Orghandl verarbeitet nahezu die ganze Bandbreite der Geschlechtertheorien, aber ohne dass es kompliziert wird. Ihr gelingt eine kluge, unterhaltsame und spannende Erzählung über ein Kind, das wohl als transgender bezeichnet werden kann oder mit den Worten von Anna, der Freundin Jennifers Freundin: „ Na sicher ist nicht jeder mit Penis ein Bub! […] Auf die Seele kommt es an!“ Und Jennifers Seele wusste schon immer, dass sie Jennifer ist und nicht Leo, aber erst langsam kann Jennifer dieses Gefühl, dieses Wissen artikulieren, denn „Woher Jennifer plötzlich ihren echten Namen kennt, weiß sie selbst nicht. Aber sie ist sehr froh, eines Tages endlich mit ihm aufgewacht zu sein. Wie mit etwas, mit dem man besser atmen kann, ist er aus ihrer Brust gekommen und hat sich gut angefühlt.“ Orghandl macht mit diesen wenigen Worten deutlich, worum es geht: Trans* zu sein ist genauso wie queer oder nicht-heterosexuell zu sein keine Entscheidung, die der Mensch trifft, sondern ein Wissen, das da ist, das zu artikulieren aber kaum möglich ist. Und so wird in diesem Fall der Name Jennifer das Synonym für dieses Gefühl. Und mit der beginnenden Möglichkeit, es benennen zu können, wird es langsam leichter. Und am Ende, da wird alles gut, denn zuletzt möchte auch Jennifers Papa lieber ein glückliches Kind als einen traurigen Sohn. Und der Katze, der ist ohnehin alles egal, deshalb spielt sie in der Geschichte eigentlich auch keine Rolle.
Personen: Orghandl, Franz Strozyk, Theresa
Orghandl, Franz:
¬Der¬ Katze ist es ganz egal / Franz Orghandl. Mit Ill. von Theresa Strozyk. - Leipzig : Klett Kinderbuch, 2020. - 94 S. : Ill.
ISBN 978-3-95470-231-2 fest geb. : ca. € 13,40
je - Signatur: JE Org - Kinder und Jugend