Je nach Zeitgeist werden die literarischen Produkte immer wieder mit neuen Gattungsbezeichnungen versehen. So durchläuft ein Text oft mehrere "Brandings" und ist mit geringem Aufwand immer wieder als neu verkäuflich. Edith Kneifl etwa hat 1997 ihre Groteske "Ende der Vorstellung" durchaus Roman nennen können, nach der Verfilmung 2002 ist jetzt freilich das Taschenbuch zu einem Wien-Krimi mit dem Titel "Taxi für eine Leiche" geworden. Der Inhalt solcher Verwandlungen bleibt gleich, im Falle von "Taxi für eine Leiche" geht es noch immer grotesk, peripher und abgesoffen zu, nur dass in Schilling gedacht wird, deutet darauf hin, dass die Helden von gestern sind. Ein kaputtes Vorstadtkino ist vermutlich so schwach ausgelastet, dass die darin aufgelegten Leichen manchmal erst beim Filmwechsel auffallen. Hermine K. führt das Kino Kapfinger mit jener zeitlosen Leidenschaft, die guten Filmen innewohnt. Das Publikum ist offensichtlich zu einem kleinen Senioren-Club zusammengeschmolzen, der zwischendurch ins Kino geht, die restliche Zeit aber im Kaffeehaus auf hohem Alkohol-Niveau über die Filme diskutiert. Realität und Leinwand verschmelzen bei dieser Gelegenheit und so wird es als filmisch normal empfunden, dass soeben die dritte Leiche dieses Monats im Kino entdeckt worden ist. Hermine K. reagiert professionell, zusperren und einmal ein Getränk ausfassen, dann wird sich die Lage schon klären. Der Fall entwickelt sich befeuert von deftigen Getränken zu einem saftigen Slapstick. Alle in der Runde verdächtigen einander, manche ergreifen Maßnahmen zur Aufklärung, andere wollen bloß die Polizei draußen halten. Die akute Leiche verschwindet zwischendurch und wird mehrmals per Taxi durch die Stadt transportiert. Die Opfer sind meist Hofräte, Schulmeister und andere Trottel auf hohem österreichischen Niveau, so viel darf verraten werden. Der Plot hat jedoch die Aufgabe, groteske Auswüchse einer feinen Überlebensgesellschaft Wiens tragfähig zu erzählen. Dabei wimmelt es nur so von Filmzitaten, jede Szene wird wie unter Cineasten üblich mit der entsprechenden Sequenz auf der Leinwand verschnitten. Großes Kino scheut sich nie, Worthülsen vom Boden aufzuklauben und in den Mund zu stecken, dem Kino verzeiht man solche Klischees, die man der Literatur nie verzeihen würde. So sind in der Kneifl-Groteske die Prosituierten, Strizzis, Barbesucher und Würstel-Wiederkäuer zwar mit Klischees ausgestattet, sie erhalten aber im Kino-Ambiente etwas durchaus Strahlendes und Vorbildhaftes. Das ist die schöne Kunst Edith Kneifls, dass sie die abgestiegenen und ausgetretenen Protagonisten des Milieus mit cineastischen Mitteln würdigt. So entsteht im Leser großes Kino, auch wenn die Figuren im echten Leben auf einem nicht immer sauber gewischten Boden stehen müssen. Helmuth Schönauer
Serie / Reihe: Haymon TB 190
Personen: Kneifl, Edith
Kneifl, Edith:
Taxi für eine Leiche : ein Wien-Krimi / Edith Kneifl. - Innsbruck [u.a.] : Haymon-Verl., 2015. - 224 S. - (Haymon TB; 190)
ISBN 978-3-7099-7814-6 kt.: € 9,95
Romane, Erzählungen, Krimis, Spannung, Humor, preigekr. Ersterscheinungen, Biografien, historische Romane, Mystisches, Heimatromane - Signatur: JE Kne - Buch:Dichtung