Wahrscheinlich kann man dieses Aufsatz-Buch nur mit Schadenfreude lesen. Lehrerinnen und Lehrer, die ein Leben lang Aufgaben geben und Aufsätze schreiben lassen, sind eingeladen, sich freiwillig gegen ein kleines Honorar hinzuhocken und ihren Alltag in der Schule zu beschreiben. Gut dreißig Frauen und acht Männer, alle unter dem Reizwort Schule tätig, haben sich selbst ein Aufsatzthema stellen dürfen und es dann auch artig zu Ende geschrieben. Die Ergebnisse sind nicht gerade vom Sessel reißend, denn wer, der noch ein paar Jahre unterrichten muss, wird sich schon outen, dass es ein Dirty Job ist und er eigentlich einen Psychiater braucht. So schreiben sich die Braven ihrem Sehrgut entgegen und erzählen mehr oder weniger in der Kutte der Missionarin, wie schön es ist, wenn man an das Gute im Unterricht glaubt. Die meisten Geschichten laufen nach dem Story-Board der alten Arbeitergeschichte ab, Alltag, Stress, hohe Moral, Durchhalteparolen und nette Kollegenschaft lassen das Leben nur so im Nu vorüberziehen. Und die Werkstücke haben noch dazu den Vorteil, dass sie sprechen können oder zu Weihnachten und zu Schulschluss ein nettes Feed-Back abliefern. Die Hälfte der Geschichten hat, wie es vom Zeitgeist gefordert ist, einen migrantischen Hintergrund. Manchmal kommen diese Episoden in Gestalt eines Kalauers daher, wenn etwa ein Kind aus einem anderen Kulturkreis glaubt, dass man sich die grauen Haare grau färben müsse oder dass der Hautarzt ein Leder-Arzt sei. Sprechstunde, Schuleinstieg oder gar Erfahrungssplitter halten genau das, was sie im Titel angeben, nämlich Sprechstunde, Schuleinstieg und Erfahrungssplitter. Der zuhörende nette Ton, den Lehrerinnen oft haben, ehe sie im letzten Absatz die Welt in einem einzigen Satz erklären, zieht sich verdammt didaktisch durch die Geschichten. Selbst wenn man diese Episoden still für sich lesen will, hört man immer noch das besserwisserische Grundgeräusch einer Schule durch, das verlässlich jeden ehemaligen Besucher einer Schule ein Leben lang als Tinnitus erhalten bleibt. Auch Lehrerinnen-Erotik fuselt durch den Unterricht und erweckt im Leser eine ungeheure Geilheit auf Schule. "Für die Lehrer gab es keine Umkleidemöglichkeit. Aber das war für mich nicht wirklich ein Problem, denn an Tagen mit Turnunterricht zog ich es vor, bereits in bequemer Sportkleidung zu erscheinen. An diesem verhängnisvollen Tag jedoch, es war Ende Mai und bereits sehr warm, vergaß ich auf mein sportliches Outfit und zog ein leichtes Sommerkleid an. Auch auf einen BH verzichtete ich." (131) Die Herausgeberin Christine Dobretsberger hat noch viel zu tun, wenn sie nach den Polizisten und jetzt Lehrern wohl auch noch alle anderen braven österreichischen Berufe nach gefühlten Geschichten abklappern muss. Die Lehrerinnen sind im Titel stündlich gefordert, die Leserschaft mit der Lektüre eine Stunde lang, dafür aber herzzerreißend heftig. Helmuth Schönauer
Personen: Geschichten, die die Schule schreibt Dobretsberger, Christine
GS Ges
Geschichten, die die Schule schreibt:
Geschichten, die die Schule schreibt : wie Lehrer stündlich gefordert sind / Christine Dobretsberger (Hg). - München : Molden, 2011. - 213 S.
ISBN 978-3-85485-265-0 EUR 19.95
Soziol.(Gesch.,Kritik), Recht, Staat - Buch