Roadtrip, ein ungewöhnliches Mädchen und jede Menge Abenteuer – nein, hier ist nicht die Rede von Wolfgang Herrndorfs Jugendroman „Tschick“, sondern von „Tankstellenchips. Ein Heldenepos“ von Antonia Michaelis. Doch auch wenn – oder vielleicht gerade weil – sich die Autorin derselben Ingredienzien bedient, will die Geschichte nicht so recht in Schwung kommen. Aber der Reihe nach. Der 18-jährige Ich-Erzähler Shayan ist aus dem Iran nach Deutschland geflüchtet, wo er in einer stürmischen Nacht auf der Insel Usedom auf den pfiffigen Davey trifft, einen achtjährigen Jungen mit Sprachfehler, der aus dem Kinderheim ausgerissen ist. Sie werden Zeugen eines Mordes und sind von da an mit Heißluftballon, auf Pferden oder mit Paraglidern auf der Flucht vor Verbrechern und Polizei. Shayan hat in seinem Spind im Flüchtlingsheim einen ungeöffneten Brief von der Ausländerbehörde liegengelassen, aller Wahrscheinlichkeit nach ein Abschiebebescheid, und will nach Köln zu einem Anwalt. Dort erhofft er sich – vergeblich, wie den Lesenden bald klar wird – Hilfe. Auf ihrer etappenreichen Reise begegnen die beiden verschiedenen Menschen, lernen unterschiedliche Sichtweisen kennen und bewältigen (immer mit demselben Trick!) brenzlige Situationen. Nach und nach erfährt man dann auch den Grund für Shayans Flucht aus dem Iran. Zwar weigert der sich stets, die „Heldengeschichte“ zu erzählen, die die Deutschen von einem Flüchtling erwarten, ist aber tatsächlich ein Held, der sein Leben für die Freiheit in seinem Land aufs Spiel gesetzt hat. Und erweist sich als solcher, wenn er Frauen und Mädchen auf seiner Reise genauso beschützt wie den kleinen Davey. So überrascht auch das Happy End keineswegs. Zweifellos muss die Flüchtlingsthematik Eingang in die Kinder- und Jugendliteratur finden, insofern ist der Autorin das Bemühen darum anzurechnen. Doch einerseits präsentiert Antonia Michaelis mit ihrem Ich-Erzähler Shayan einen eher „untypischen“ Flüchtling (er kommt aus dem Iran aus wohlhabender muslimischer Familie, ist selbst zum Christentum übergetreten und zeigt sich insgesamt höchst anpassungswillig an die deutsche Kultur), andererseits bekommt man diese Figur auch schwer zu fassen. Der 18-Jährige mutet seltsam naiv an und so wird ein tragisches Thema über weite Strecken zum Klamauk. Besser gezeichnet wird da schon der kleine Davey, ein für sein Alter durchaus ausgekochter Bursche, dessen Sprachfehler Shayans holprigem Deutsch in keiner Weise nachsteht. Interessant wird es dann, wenn die Autorin ihren Ich-Erzähler als Ausländer über Deutschland und die deutsche Sprache – den Hang zu Verbotsschildern, die Vorliebe für Klodeckelüberzüge oder das Gendern in der Sprache – reflektieren lässt. So hat Shayan gelernt, dass die Nachsilbe „-in“ für Weibliches steht, ein weibliches Pferd ist demnach bei ihm eine „Pferdin“, eine Kuh eine „Kuhin“ usw. Leider treibt die Autorin dieses Spiel mit der Sprache (wie auch andere) durch ständige Wiederholung so weit, dass der erheiternde Anfangseffekt verloren geht. „Tankstellenchips“ ist ein ambitioniertes Unterfangen, dessen Ton sich zwischen Ernsthaftigkeit und Klamauk leider nicht einpendelt und so dem Anspruch des Themas nicht gerecht wird.
Personen: Michaelis, Antonia
Leseror. Aufstellung: Lesesommer 2020
Michaelis, Antonia:
Tankstellenchips : ein Heldenepos / Antonia Michaelis. - Hamburg : Oetinger, 2018. - 362 S.
ISBN 978-3-7891-0918-8 fest geb. : ca. € 18,50
Jugendbücher (bis 12 Jahre) - Signatur: J Mich - Buch