Franck, Julia
Welten auseinander
Buch

Julia Franck hat vor vielen Jahren mit dem überaus erfolgreichen Roman "Mittagsfrau" die Geschichte ihrer Familie über mehrere Generationen verfolgt. In dem neuen Roman geht es um ihre eigene Kindheit und Jugend von ca. 1970 bis 1995. In der Fülle autofiktionaler Literatur, die derzeit auf dem Markt ist, muss sich Julia Franck nicht verstecken. Mit dem gezielt eingesetzten Wechsel von der Ich-Perspektive zur personalen Erzählung kann sie mühelos die angemessene emotionale Distanz jeweils verringern oder vergrößern.
Ihre chaotische Kindheit in einem kleinen Dorf in Schleswig-Holstein, nach erfolgreichem Ausreiseantrag und Erstaufnahme in Berlin-Marienfelde, ihr Leben in einer Künstlerfamilie zwischen Ost und West mit jüdischen Vorfahren löst beim Lesen Erstaunen, Mitleid und teilweise auch Entsetzen aus. Die egomanische Mutter und die eigenwillige Großmutter, die sich vornehmlich ihren Skulpturen widmet, vermitteln nichts von Geborgenheit und familiärem Schutzraum. Julia und ihre Schwestern sind Außenseiterinnen in einer Umgebung, in der ihr Zuhause wie "ein Tollhaus, ein Schauhaus, ein Irrenhaus" wirkt. Umso beeindruckender ist von daher gerade das Streben der Autorin nach Ordnung und Struktur im Alltag, das sie als Kind ohne Hilfe von außen zu realisieren versucht. Sie kümmert sich um ihre Zwillingsschwester wie auch um die kleinere, bemüht sich um normale Freundschaften mit den Mitschülerinnen in der Waldorfschule und sorgt fürs Essen.
Als Julia mit 13 Jahren auf eigenen Wunsch zu einer befreundeten Familie nach Berlin umzieht und dort neben der Schule ihren Lebensunterhalt mit Putzen und Babysitten verdient, erweist sich auch dieser Wechsel des Umfelds als schwierig; es fehlen fest verankerte Strukturen, die das menschliche Miteinander erleichtern könnten. Als sie ihren Vater endlich kennenlernt, ist dieser bereits todkrank. Schließlich wird auch die erste große Liebe in die Erzählung eingeflochten, ein Hoffnungsschimmer, der mit dem Unfalltod des jungen Mannes tragisch endet.
Die Entwicklung zur Schriftstellerin zeichnet die Autorin eindrücklich nach. Allen Widrigkeiten und Überforderungen des eigenen Lebens kann sie durch Notizen und Tagebücher etwas Rettendes entgegensetzen. Fazit: Trotz vieler bedrückender Szenen ein intensives, nachdenklich stimmendes Leseerlebnis!

Kirsten Blanck für das Büchereiteam


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Personen: Franck, Julia

Schlagwörter: Autobiografie

Interessenkreis: alte Schätzchen

Franck, Julia:
Welten auseinander / Julia Franck. - 1. Auflage. - Frankfurt am Main : S. FISCHER, 2021. - 368 Seiten ; 20.9 cm x 13.4 cm, 478 g
ISBN 978-3-10-002438-1 Festeinband : 23.00 (DE), EUR 23.70

Zugangsnummer: 2021/0590 - Barcode: 2-3111140-7-00020939-7
Biographie, Briefe, Tagebücher - Signatur: Fra - Buch