Eine fesselnde Lübecker Familiensaga mit mystischen Einsprengseln. (DR) Lucie, Anfang des 20. Jahrhunderts von ihrer den Freitod als Alternative zur gesellschaftlichen Ächtung wählenden Mutter in der Trave, dem Fluss durch Lübeck, geboren, hat eine Gabe, die sich in der Familie weitervererbt bis zu ihrer Enkelin Jessie: Sie kann den Stadtteufel, der ihrer Geburt beiwohnte, sehen. Es handelt sich dabei nicht um einen klassischen biblischen Teufel, sondern um eine untrennbar mit Lübeck verbundene, mythologische Gestalt, mit Hellsichtigkeit begabt, unsterblich und durch die Jahrtausende Zeugenschaft der menschlichen Boshaftigkeit illusionslos geworden. Mit ihrer Gabe durchschaut Lucie hellsichtig ihre Mitmenschen, ihre geheimen Wünsche, Sehnsüchte und Hoffnungen. Die Autorin schildert anhand der Schicksale der drei aus einfachsten Verhältnissen stammenden Frauen - Lucie, ihrer Tochter Freya, einem typischen Kriegskind, und ihrer Enkelin Jessie, die mit ihren Punkfreunden den Aufstand gegen die bessere Gesellschaft und gefährliche Rechtstendenzen übt - die Geschichte Lübecks: Erzählt wird von der Monarchie zum Beginn des 20. Jahrhunderts über den Ersten Weltkrieg, die Weimarer Republik, den Nationalsozialismus und die Nachkriegszeit bis zum Brand eines Lübecker Flüchtlingsheims im Jahr 1996 mit zehn Opfern, der höchstwahrscheinlich auf Brandstiftung durch Neonazis zurückzuführen ist. Eingebunden werden in diese von den drei Protagonistinnen geprägte Familiengeschichte immer wieder mythologische Figuren wie der Teufel oder der in die Jahre gekommene Roggenbuk, eine Sagengestalt, die auf dem Grund der Trave sitzend und auf einer Knochenharfe spielend auf ihre jungfräulichen Opfer wartet. Selbstverständlich finden sich aber auch plastisch gezeichnete männliche Nebenfiguren wie Lucies Vater Michél Hinrichs, zeitweiliger Hafenarbeiter, naturbegabter Maler trotz eines im Ersten Weltkrieg verlorenen Arms, Trunkenbold, Raufkumpan und hingebungsvoller Vater und Großvater. Oder der alte Offizier Johann Christoph Petersen, dessen bester Freund zur Statue versteinert und der dessen fast vierzig Jahre jüngere Tochter heiratet. Aus dieser Ehe geht als jüngster Sohn Christoph Maria Petersen hervor, Lucies späterer Ehemann, verhinderter Künstler und während des Naziregimes unmenschlich korrekter, beamteter Erfüllungsgehilfe der Massenvernichtung, dessen Schatten seine Enkelin Jessie noch in den 1990er Jahren bedrängt und bedrückt. Ein Roman voller Fabulierkunst und Spannung, mit den armen Leuten der Gröpelgrube in einem ganz anderen Milieu angesiedelt als Thomas Manns "Buddenbrooks" und doch ein zeitgemäßer Gegenentwurf. Sehr empfehlenswert.

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Personen: Kutschke, Svealena