Die 1960 geborene Autorin blickt in diesem wunderbar poetischen und zugleich realistischen Roman auf ihre Kindheit und Jugend im ehemaligen Siebenbürgen zurück. (DR) In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist man im ehemaligen Siebenbürgen noch in drei Sprachen zu Hause. Die kleine Ana wächst in Brasov, früher Kronstadt, auf. Das Haus, in dem sie mit ihrer Großfamilie wohnt, hat zwei Erdbeben, zwei Weltkriege und einen Bombenangriff überstanden. Immer wieder ist etwas auszubessern, einmal das Dach, durch das es hereinregnet, dann eine von der Feuchtigkeit aufgequollene Tür und so weiter - für die Erwachsenen eine dauernde Sorge. Das Leben ist in materieller Hinsicht äußerst bescheiden, doch die Kinder fühlen sich in der Familie geborgen und das ungezwungene Erkunden ihrer Umwelt fördert ihre Selbständigkeit und regt die Fantasie an. Natürlich nehmen sie auch die Spuren wahr, die der Krieg nicht nur an den Gebäuden, sondern vor allem in der Gesellschaft hinterlassen hat. Die Erwachsenen antworten auf manche Fragen nur sehr vorsichtig und verklausuliert. Im kommunistischen Rumänien ist es gefährlich, über die Vergangenheit zu sprechen. Der Sohn eines Onkels, der in ein Straflager verbannt wurde, ist offiziell in einem Heim. Die Gründe, warum ein deutscher Nachbar in die Ukraine verschleppt wurde und der freundliche Herr Blau nach Israel auswandert, bleiben unklar. Der Autorin gelingt etwas, was sich leicht anhört, aber schwer zu treffen ist, nämlich genau der richtige Ton. Dadurch wird ihre Geschichte nie langweilig. Lebendig und warmherzig schildert sie, wie es war, um 1960 in Rumänien aufzuwachsen. Neben alltäglichen Szenen lässt Parvalescu immer wieder etwas aufleuchten, was die magischen Jahre der Kindheit einfühlsam illustriert. So macht die kleine Ana an einem Nachmittag eine unerhörte Entdeckung. Sie zeichnet gerade, als sie ihren Blick auf das Bild an der Wand, eine Winterlandschaft, richtet. Die Sonnenstrahlen fallen darauf und plötzlich "sah ich mit meinen eigenen Augen, wie der Himmel in dem Bild sich auftat und es über dem steilen Pfad zu schneien begann, ein silbern und golden schimmernder Schnee, so schön, wie ich ihn noch nie gesehen hatte." Die Familienmitglieder halten Anas Beobachtung für ein Hirngespinst, bis sich Jahre später eine natürliche Erklärung dafür findet. Doch diese vermag nicht den Zauber auszulöschen, den Ana damals empfunden hat. Den LeserInnen kann man nur wünschen, sich vom Zauber dieses wunderbaren Romans gefangen nehmen zu lassen.
751 bn.bibliotheksnachrichten / Ingrid Kainzner
Personen: Parvulescu, Ioana Aescht, Georg
Parvulescu, Ioana:
Wo die Hunde in drei Sprachen bellen : Roman / Ioana Parvulescu ; aus dem Rumänischen von Georg Aescht. - 1. Auflage. - Wien : Paul Zsolnay Verlag, 2021. - 368 Seiten Inocentii
EAN 9783552072282 Festeinband : EUR 25,70 (AT)
Belletristik für Erwachsene - Signatur: DR PARV - Buch Dichtung